„Ein Wendepunkt in Fortunas Geschichte“
Das Mythos-Spiel jährt sich am Montag zum 20. Mal
Auf den Tag genau vor 20 Jahren kam es im altehrwürdigen Paul-Janes-Stadion zu einem Freundschaftsspiel der ganz besonderen Art: Die damals aktuelle Oberliga-Mannschaft der Fortuna traf auf die erfolgreiche Mannschaft von 1993, die einst den Durchmarsch aus der dritten Liga in die Bundesliga geschafft hatte. Das „Klassentreffen“ unter dem Motto „Mythos Fortuna“ kam zu einer Zeit, in der es um die Rot-Weißen in der Viertklassigkeit nicht allzu rosig bestellt war – und sollte einen Wendepunkt in der Vereinsgeschichte darstellen.
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des „Mythos-Spiels“ hat www.f95.de mit zwei der Organisatoren sowie einem langjährigen Fortuna-Profi, der schon damals auf dem Rasen stand, gesprochen. Bernd Jolitz (Rheinische Post) vom Verein Düsseldorfer Sportpresse, Boris Bartels von der Agentur dreimarketing sowie Axel Bellinghausen.
Hallo ihr drei! Aus dem Bauch heraus: Wer von Euch weiß, was aus dem Fußballer Julius Steegmann wurde?
Bernd Jolitz: Ich habe dieser Tage noch mit ihm telefoniert – er hat mit Fußball gar nichts mehr zu tun.
Axel Bellinghausen: Er ist quasi der einzige von damals, der es zu etwas gebracht hat (lacht). Er ist mittlerweile Zahnarzt – und zwar ein richtig guter.
Boris Bartels: Er hat aber direkt mit Begeisterung zugesagt, als wir ihm zum Wiedersehenstreffen nach 20 Jahren Mythos-Spiel eingeladen haben.
Wir sprechen über ihn – und den anderen damaligen Jugendspieler, der durch die Einnahmen aus dem Freundschaftsspiel in die Erste Mannschaft aufrücken konnte – später noch. Erzählt uns zu Beginn die Geschichte: Wer ist damals mit der Idee für das Mythos-Spiel auf wen zugegangen?
Jolitz: Ich glaube, dass mein ehemaliger Kollege Heribert Schmitt, der leider viel, viel zu früh verstorben ist, die ursprüngliche Idee hatte. Er kam auf mich zu und gemeinsam haben wir unser Vorhaben im Verein Düsseldorfer Sportpresse vorgestellt.
Bartels: Anschließend kamen Bernd und Michael Welling auf mich zu, weil sie meinten, dass man das Event ordentlich vermarkten müsse. Die Fortuna lag damals am Boden und hat – auf gut Deutsch – keine Sau mehr interessiert. Dann haben wir das Spiel auf die Beine gestellt. Dazu gab es am Tag vorher und nach dem Spiel bunte Abende und wir haben drei Monate lang Öffentlichkeit für die Partie hergestellt.
Und wie. Die Fortuna und die Beteiligten bewarben das Spiel zu seiner Zeit unter anderem mit Radiospots, einer Kinowerbung und durch die Stadt fahrende Autos. Weswegen dieser riesige Aufwand für ein Freundschaftsspiel?
Bartels: Die Fortuna lag so sehr am Boden, dass wir mit vollem Programm dagegen steuern mussten. Wir wollten die ganze Stadt emotionalisieren – nicht rund um die marode Fortuna, wie sie damals war, sondern mit dem Mythos, der diesen Verein umgeben hat. Das haben wir getan. Über diese Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit konnten wir Sponsoren und Helfer gewinnen. Über Plakate an Straßenbahnhaltestellen konnten wir die Leute finden, die mit uns den Kinospot gedreht haben. Niemand hat auch nur einen Cent gewollt – genau wie etwa auch die Düsseldorfer Bands, die am Familientag rund ums Spiel aufgetreten sind. Alle hat geeint, dass sie der Fortuna neues Leben einhauchen wollten.
Jolitz: Es ging um das Wiedererwecken der Fortuna. Der Verein war damals nicht nur am sportlichen Tiefpunkt: Auch wenn es sportlich und wirtschaftlich jahrelang bergab gegangen war, die Fortuna war zumindest noch das Gesprächsthema Nummer eins am Stammtisch oder im Café gewesen. Doch auch diese Aufmerksamkeit war weg. Fortuna drohte, völlig aus der Stadt wegzubrechen.
Bartels: Es gab in der ganzen Stadt keine Fahne und keinen Aufkleber mehr zu sehen. Die Kinder auf den Spielplätzen spielten in Bayern-, Dortmund- oder Schalke-Trikots. Die Fortuna war völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Jolitz: Das wollten wir ändern – daher dieser Aufwand. Wir wollten zeigen, dass die Fortuna mehr ist, als nur der aktuelle Achte der Oberliga. Ja, das ist auch ein Teil dieses Vereins – aber es gibt noch einen anderen Aspekt. Den Mythos Fortuna.
Bernd hat das Spiel in einem Artikel zum zehnjährigen Jubiläum einmal als „Wendepunkt in Fortunas Geschichte“ bezeichnet. Welche Bedeutung kann man diesem Spiel 20 Jahre später zuschreiben?
Bellinghausen: Für mich war dieses Spiel der Startschuss für das heutige Fortuna-Bewusstsein. Ein Jahr später konnten wir aus der Oberliga aufsteigen – nach wie vor ist das für mich der wichtigste Aufstieg unserer Vereinsgeschichte. Das Mythos-Spiel war der Grund, warum in der Aufstiegssaison auch mal 4.000 oder 5.000 Leute an den Flinger Broich zu unseren Heimspielen kamen. Für mich war das Spiel der der Beginn von etwas, das man erst heute begreifen kann. Der Tag hat nicht nur vieles, sondern vielleicht sogar alles verändert.
Wenn Du 20 Jahre später an Deine damaligen Spieler und Gegner denkst – welche Namen schießen Dir als erstes durch den Kopf, Axel?
Bellinghausen: Ralf Voigt, zu dem ich heute noch Kontakt habe, ist immer mein erster Gedanke – weil man an so einem Tag nicht mehr Pech haben kann. Ein Achillessehnenriss in einem Freundschaftsspiel! Ich denke auch an Karlo Werner, weil wir am Abend vorher zu fortgeschrittener Stunde auf die Idee kamen, auf einer Tischdecke im Hotel Freistoßvarianten aufzumalen. Falls das Hotel es damals nicht rausgefunden haben sollte – ja, das waren wir (lacht). Ich denke auch an Petr Rada, weil er so ein toller Fußballer war. Und mir ist besonders in Erinnerung geblieben, was für eine Respektsperson Aleksandar Ristic war. Als er das Hotel betrat, sind alle seine ehemaligen Spieler aufgestanden und zu ihm gegangen. Jeder hat ihm die Hand gegeben und ihn nach wie vor gesiezt, auch wenn sie nicht mehr für ihn gespielt haben. Er hatte eine nette, liebevolle Art, hat aber trotzdem von jedem großen Respekt entgegengebracht bekommen.
Jolitz: Er hatte als Trainer auch zu Journalisten immer ein kühles, distanziertes Verhältnis. Er war nett und höflich, aber er hat klare Grenzen aufgezeigt. Rund um das Spiel waren diese Grenzen weg. Er war so begeistert von der Idee, dass er uns wie gute Kumpels behandelt hat.
Bellinghausen: Es war generell schön, die Jungs aus der alten, erfolgreichen Mannschaft kennenzulernen.
Bartels: Das war genau das Ziel. Wir wollten der aktuellen Mannschaft erfolgreiche Spieler präsentieren und eine Verbindung schaffen. Die älteren Spieler sind super gerne gekommen und haben von sich aus alles mit den jungen geteilt.
Bellinghausen: Nach dem Spiel gab es eine gemeinsame Ehrenrunde. Wir trugen „Danke“-Shirts, die 93er-Mannschaft trug „Bitte“-Shirts. Besser konnte man diesen Tag nicht festhalten.
Es gab aber nicht nur das Drumherum, es gab auch ein Fußballspiel. Hat es überhaupt eine Rolle gespielt, wie das Geschehen auf dem Rasen aussah?
Jolitz: Ich glaube schon, dass die 93er zeigen wollten, was sie noch konnten – und die damals aktuelle Mannschaft wollte nicht gegen die Älteren verlieren.
Bellinghausen: Man muss allerdings dazusagen, dass der Vorabend das Fußballspielen entscheidend erschwert hat (lacht).
Bartels: Die Jungs von früher konnten noch richtig gut kicken und führten plötzlich 2:0. Es war zwar eine Spaßveranstaltung, aber man merkte, dass es nach dem zweiten Tor ehrgeiziger wurde. Axel und Co. wollten sich nicht wegfiedeln lassen. Dann haben sie Gas gegeben.
Jolitz: Es ist dann 4:2 für die aktuelle Mannschaft ausgegangen. Erst hat der eingewechselte Co-Trainer Uwe Klein einen Doppelpack erzielt – dann sind in der 85. und 86. Minute noch zwei Tore gefallen. Vermutlich, weil niemand mehr die Kraft für eine Verlängerung hatte. Es gab dann allerdings ein Jux-Elfmeterschießen, das auch die 2003er-Mannschaft für sich entschied.
Mit den Einnahmen wurden die Verträge von zwei Nachwuchsspielern finanziert. Der A-Jugendliche, der neben Julius Steegmann in die Erste Mannschaft aufrückte, hieß Andreas Lambertz. Wie unglaublich ist es rückblickend, dass ausgerechnet durch dieses Spiel zu einem absoluten Tiefpunkt der Spieler unter Vertrag genommen wurde, der vielleicht wie kein Zweiter für den Weg der Fortuna nach oben stehen sollte?
Bartels: Wir fragen uns heute noch, wie das passieren konnte.
Jolitz: Wir wollten damals, dass von den Einnahmen diese beiden Verträge finanziert werden – damit es einen greifbaren Zweck gab und das Geld nicht einfach verschwand. Dass dabei der Fortune heraussprang, der den Verein über ein Jahrzehnt lang prägen sollte, hat kein Mensch geahnt.
Bartels: Ich bin nach wie vor fassungslos, dass es so ein Glücksgriff geworden ist. Ich war in München, als ‚Lumpi‘ das Tor gegen Manuel Neuer geschossen hat. Mehr geht nicht.
Bellinghausen: Die Geschichte von ‚Lumpi‘ ist schon so oft erzählt wurden, aber nur die wenigsten haben auf dem Schirm, dass sie tatsächlich durch dieses Mythos-Spiel losging. Und diese Story ist so schön! Erst hieß es ‚Was hat der in der vierten Liga zu suchen?‘. Dann: ‚Dritte Liga? Kann er überhaupt nicht‘. Es folgten ein ‚In der 2. Bundesliga ist aber wirklich Schluss‘ und ein ‚Bundesliga? Im Leben nicht‘. Am Ende hieß es ‚Lumpi, wir haben es immer gewusst‘. Alles hatte seinen Ursprung durch dieses Spiel. Seine Geschichte wurde an diesem Tag losgetreten.
In ein paar Tagen habt Ihr ein Wiedersehenstreffen geplant, um das 20-jährige Jubiläum zu feiern.
Bartels: Wir wollen so viele Beteiligte wie möglich zusammenkriegen und haben schon viele begeisterte Zusagen. Wir treffen uns in der Kneipe, wo damals alles seinen Anfang nahm und wir dem damaligen Vorstand die Idee vorgestellt haben. Wir werden einen netten, rot-weißen Abend haben. Die Begeisterung ist schon zu spüren.
Jolitz: Ein Beispiel: Ich habe Vlatko Glavas angeschrieben – der wohnt mittlerweile in Bosnien. Er hat nur gefragt, wann und wo der Abend stattfindet, und direkt zugesagt
Zum Abschluss ein Gedankenspiel: Die Mannschaft welcher Epoche würdet Ihr gerne einmal gegen das heutige Team im Paul-Janes-Stadion auflaufen sehen?
Jolitz: Ich persönlich würde meine Lieblingsmannschaft – das wird immer die Mythos-Mannschaft von 1993 bis 1995 bleiben – mit ein paar Spielern der 70er Jahre ergänzen.
Bartels: Bei mir sind es definitiv die Spieler der 70er Jahre.
Bellinghausen: Ich würde die Mannschaft wählen, mit der wir 2004 aufgestiegen sind. Wir haben immer noch wahnsinnig viel Kontakt und eine sehr aktive WhatsApp-Gruppe.
Jolitz: Eine Ergänzung: Natürlich würde auch Axel Bellinghausen in meiner Mannschaft stehen.