Nie wieder!
8. Erinnerungstag im deutschen Fußball
„Einmischen statt wegsehen!“ - mit dieser Aufforderung am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erinnert die DFL Deutsche Fußball Liga mit ihren Clubs am 27. Januar eines jeden Jahres die Fußballfans an die Opfer der Terror-Diktatur von 1933 bis 1945. Mit der öffentlichen Erinnerung an die Verfolgten und Ermordeten soll den Opfern und ihren Familien Respekt gezollt und Ehrung auch im Stadion gewährt werden.
Aufgrund ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ihrer Herkunft, wegen Krankheit, Behinderung oder weil sie aus anderen Gründen den damals Herrschenden nicht ins Bild passten, wurden ab 1933 über mehr als 12 Jahre Millionen Menschen ausgegrenzt, verfolgt, in die Emigration getrieben, grausam gequält und ermordet. Unter ihnen waren auch viele Sportler. Sie erkämpften für Deutschland Olympiasiege und Weltmeistertitel oder spielten in der deutschen Fußballnationalmannschaft, wie beispielsweise Julius Hirsch, der im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde.
Wer den Terror überlebte, musste das Leben in der Freiheit wieder mühsam lernen. Über das Fußballspielen in einer Mannschaft kam der eine oder andere mit der Normalität des Alltags wieder in Kontakt. Ernst Grube aus München, einer, der als Kind das Konzentrationslager überlebte, sagt heute: „Für mich bedeutete das Fußballspielen im Verein, dass ich gleichberechtigt war und akzeptiert wurde. Das war für mich ein ganz neues Gefühl, weil ich Freundschaft als jüdisches Kind, und ich war ja auch ein deutsches Kind, in der Nazizeit nicht erlebt hatte.“
Wie notwendig es ist, diesen Teil der Geschichte niemals zu vergessen, wird uns bewusst durch die vor wenigen Wochen aufgedeckten Morde der Neonazis an türkischen und griechischen Mitbürgern.
Am Fußballplatz und in unserer Gesellschaft gibt es keinen Platz für Nazis - keinen Platz für Rassismus, Diskriminierung und Gewalt. Daher gilt es nicht wegzusehen, sondern laut zu widersprechen, wenn rassistische Parolen gerufen oder Spieler und Fans anderer Vereine diskriminiert werden.
Fußball führt Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Religionen zusammen. Das kann man an jedem Wochenende in den deutschen Fußballligen erleben. Auch bei der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine wird wieder die Erfahrung zu machen sein, dass wenn „der Ball im Spiel ist“, Grenzen überwunden werden und Menschen sich näher kommen.
Hugo Reiss - ein Leben für den Fußball
Wie in verdienter Sportsmann systematisch drangsaliert wurde
Hugo Reiss ist ein typisches Beispiel für die willkürliche Verfolgung, die im so genannten Dritten Reich, seinen alltäglichen Niederschlag fand. Nachdem gleich zu Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten der Beschluss des deutschen Fußballbundes und der Sportbehörde gefasst worden war, dass „Angehörige der jüdischen Rasse“ in führenden Stellungen der Vereine nicht mehr tragbar seien, war Reiss gezwungen, zu kapitulieren und umgehend von seinem Amt zurückzutreten.
Die Eintracht dankte zwar seinerzeit dem scheidenden Schatzmeister in den „Vereins-Nachrichten“ und lobte dessen Verdienste: „Er hat allen Eintrachtmitgliedern ein leuchtendes Beispiel für Pflichterfüllung und Vereinstreue gegeben.“ Doch sollte dies für längere Zeit die letzte Danksagung sein, die ihm zuteilwurde.
Hugo Reiss wurde am 21. Juni 1894 in Frankfurt geboren. Seit seiner Jugend war Hugo Reiss Mitglied der Eintracht. 1924 wurde er, gerade 30 Jahre alt, Schatzmeister des Vereins. Er sorgte für geordnete Finanzen und organisierte das gesellschaftliche Leben im Verein. Als Betriebsleiter arbeitete Hugo Reiss in der Firma Adler & Neumann in Frankfurt. Zusammen mit anderen Verantwortlichen des Vereins gelang es ihnen, die Fußballer der Eintracht nach und nach an die Deutsche Spitze zu führen. Dies war u. a dadurch möglich, da ein Teil der Spiel in der Fabrik Schneider angestellt wurden, da Profiverträge damals noch streng verboten waren.
Ende 1936 verließ Hugo Reiss Deutschland in Richtung Italien. Als die Lage für Juden auch in Italien immer gefährlicher wurde, floh Hugo im März 1939 nach Chile. Dort baute er sich eine neue Existenz auf. Im Gegensatz zu ihm gelang seinen Eltern die Ausreise nicht mehr. Sie wurden von Frankfurt in das Ghetto Litzmannstadt verschleppt und dort ermordet.
Es war eine richtige Entscheidung Deutschland zu verlassen, da die Verfolgung von Juden immer mehr zunahm. Hatte sich die Eintracht anlässlich des „Rücktritts“ von 1933 noch so lobend über den erfolgreichen Schatzmeister geäußert, wurde wenig später sein Name aus dem Vereinsgedächtnis gestrichen. In der Festschrift zum 40. Vereinsjubiläum hatte man 1939 die Namen aller jüdischer Sportler, Mäzene und Funktionäre sorgsam gelöscht. In dem Heft war keine Rede mehr von Hugo Reiss und anderen jüdischen Eintraxcht-Mitgliedern.
In seiner neuen Wahlheimat wurde Hugo Reiss zu einem begeisterten Fan des chilenischen Fußballs, verfolgte aber auch nach dem Krieg die Ergebnisse „seiner“ Eintracht. Zu alten Vereinskameraden hielt er stets Kontakt und informierte sich über die Ereignisse am Main. Für ihn war es ein bewegender Moment, als der damalige Bundestrainer Sepp Herberger sich im Vorfeld der WM 1962, die in Chile stattfand, bei ihm ausgiebig nach den Landesgepflogenheiten erkundigte.
Unter großer Anteilnahme aus der Vereins- und Fanszene hat die Frankfurter Eintracht in Erinnerung an den ehemaligen Funktionär am 3. Juni 2011 Stolpersteine für Hugo, Jette und Max Moses Reiss verlegt.