Fortuna Fanprojekt auf Brasilien-Fahrt
Internationaler Fachkräfte- und Fanaustausch zur dortigen Fankultur
Vom 12. bis 25. Januar reiste eine deutsche Delegation aus Fans, Fanprojekten und verschiedenen Expertinnen im Rahmen eines Projekts der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit durch Brasilien. Dirk Bierholz vom Fanprojekt Düsseldorf war mit drei Fans ebenfalls dabei. Es ging um Karneval und Fußball, Gewalt und Dialog, aber auch natürlich auch darum, mehr übereinander zu erfahren und voneinander zu lernen.
Brasilianische Fankultur in 12 Tagen
Drei bis vier Städte, zwölf Tage, über ein Dutzend brasilianische Fangruppen, Gespräche mit Vertreterinneninnen und Vertretern von Regierung, Botschaft und Stadtverwaltungen - und natürlich Fußballspiele. Das war, kurz gefasst, das Programm der Studienreise, die die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Entwicklung (BMZ) im Januar organisiert hatte und in deren Mittelpunkt der Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen deutschen und brasilianischen Fans stand.
Hintergrund sind aktuell politische Bemühungen in Brasilien, den Dialog mit den Fußballfans zu verbessern und dabei auch einen Blick auf die Erfahrungen der Fanprojekte in Deutschland zu werfen. In enger Kooperation mit der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) wurde das Programm entwickelt, das sich auf zwei Ebenen bewegte: Zum einen die konkrete Begegnung zwischen brasilianischen und deutschen Fans, zum anderen Gespräche auf verbandlicher und politischer Ebene, um nach strukturellen Potenzialen der Übertragbarkeit zu schauen. Mit dabei in der 21-köpfigen Gruppe aus Deutschland waren Leiter der Fanprojekte aus Augsburg, Berlin, Dortmund und Düsseldorf mitsamt mehrerer Fans.
Fanvereinigung im Dialog
In São Paulo, Rio de Janeiro und Fortaleza fand ein Zusammentreffen mit Fans unterschiedlicher örtlicher Vereine statt und so erhielt man in wenigen Tagen einen echten Crashkurs in Sachen brasilianischer Fankultur. Auf den Rängen dominieren dort die sogenannten „Torcidas Organizadas“, also die organisierten Fangruppen, die für den Support sorgen und in den großen Fußballstädten Zehntausende von Mitgliedern haben - von denen allerdings bei Weitem nicht alle auch regelmäßig ins Stadion gehen.
Deutlich wurde eines: Die brasilianischen Fanszenen sind in der Krise, viele Gruppen fühlen sich, nicht zuletzt wegen der anstehenden WM, durch neue Gesetze, veränderte Stadionbauten und Konflikte mit Vereinen, Polizei und Medien stark unter Druck. In Rio haben Fanvertreter der großen vier Vereine der Stadt - Flamengo, Fluminense, Vasco da Gama und Botafogo - auf die zunehmend angespannte Situation mit der Gründung eines eigenen Dachverbandes reagiert.
Die „Federação das Torcidas Organizadas do Estado do Rio de Janeiro“, kurz FTORJ, versucht, sich als Ansprechpartner zu öffentlichen Institutionen, Vereinen und auch der Polizei zu etablieren und so die Situation der eigenen Gruppen zu verbessern. Wie schwierig ein solcher Dialog zu organisieren ist, wissen die Kenner der Situation in Deutschland nur zu gut einzuschätzen, dennoch gibt es auch ermutigende Signale wie die Teilnahme von Polizeivertretern am Fankongress in Berlin oder die Einbindung von Fanvertretern in die Regionalkonferenzen von DFL und DFB.
Interessant war der Aspekt, dass es zwar eine unterschiedliche Fankultur ist, aber die Fans viele ähnliche Probleme wahrnehmen, also Kriminalisierung, Ausgrenzung und eine negative Mediendarstellung. Das ist ein Punkt, den auch die mitgereisten deutschen Fans herausgestellt haben. Beim Besuch des legendären Maracanã zeigten sich die Auswirkungen der WM unmittelbar: „Wie ein Theater sei das Stadion nach dem letzten Umbau, so einer der Fans. Ohne Stehplätze, ohne echten Raum für Fans und mit deutlich höheren Preisen. Ihr erstes Spiel in der Rio-Meisterschaft boykottierten die Fans von Flamengo denn auch, um gegen die Ticketpreise von umgerechnet 20 Euro zu protestieren, das ist etwa ein Zehntel des brasilianischen Mindestlohns.
Karneval und Auswärtsfahrt
Im Mittelpunkt stand in den Gesprächen auch immer wieder das Thema Gewalt, das in Brasilien im Fußball wie in der übrigen Gesellschaft eine deutlich dramatischere Dimension hat. „Allein in São Paulo hat es im Laufe der Zeit in Verbindung mit dem Fußball 30 Tote gegeben“, berichtet einer der Fans. „Das klingt nach sehr viel, aber man muss auch die Relationen sehen. Hier werden in einer Woche 50 Menschen umgebracht.“ Auf die Gewalt - in der Gesellschaft wie im Fußball - gibt es derzeit noch keine adäquate Antwort, auch das wurde in den Diskussionen ein ums andere Mal deutlich. Sowohl Fans wie auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in São Paulo, Rio und Fortaleza ebenso wie die in einer Gesprächsrunde in Rio anwesenden Polizeivertreter waren sich jedoch immer in einem einig: Repression allein, gar das Verbot der Torcidas und die Eliminierung dieser Jugendkultur aus dem Stadion kann keine Lösung sein.
Besuch bei den Torcidas von Botafogo
Deutlich erfreulicher fiel da ein großer und spannender Unterschied zwischen brasilianischer und deutscher Fankultur auf: In São Paulo sind die Torcidas nicht nur im Stadion aktiv, sondern nehmen seit einigen Jahren an den Karnevalsumzügen teil und betreiben dafür selbst sogenannte Sambaschulen. Dort wird allerdings Samba weder gelehrt noch gelernt, sondern die spektakulären Umzüge mit Wagen, Kostümen und Inszenierungen vorbereitet. Die Besuche in den Hallen der verschiedenen Sambaschulen, in denen für die in wenigen Wochen stattfindenden Auftritte geschweißt, geklebt und gehämmert wurde, waren ein Highlight der Reise. In Rio wurde die Karnevalserfahrung dann noch mit einem Besuch im Sambodrom ergänzt, wo Proben für den Karnevalsumzug stattfanden.
Und natürlich gab es neben Karneval auch Fußballspiele. Besonders eindrücklich war dabei die gemeinsame Auswärtsfahrt mit der Torcida „Dragões da Real“ vom FC São Paulo zu einem Spiel der Nachwuchsmannschaft beim lokalen Jugendturnier, samt strömendem Regen und Gewitter.
In São Paulo bot sich beim Besuch in der Stadtverwaltung auch die Gelegenheit, die brasilianischen Gastgeber über die Arbeit der Fanprojekte in Deutschland zu informieren und im Gegenzug mehr über die Situationen von Jugendlichen und die Gestaltung von Jugendarbeit in der 20-Millionen-Metropole zu erfahren. Für die GIZ, die die Studienreise als einen Baustein in ihrem „Sektorvorhaben Sport für Entwicklung“ durchgeführt hat, stellt hier gerade der Sport ein wichtiges Querschnittsthema dar, über das auch viele andere Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Gewaltprävention und Geschlechtergleichstellung integriert werden können. Eine 1:1-Umsetzung der Konzeption von Fanprojektarbeit in Deutschland ist sicher für Brasilien nicht möglich, dennoch können von einem Austausch dazu wichtige Impulse ausgehen - so das Fazit der Gespräche. Dirk Bierholz vom Fanprojekt Düsseldorf: „In den Gesprächen mit den offiziellen Stellen hatten wir die Möglichkeit, die vielen positiven Aspekte von Fankultur bei uns in Deutschland hervorzuheben und umgekehrt mehr über die brasilianische Sicht zu erfahren.“
Armut und Strandleben
Auch beim Aufenthalt in Fortaleza im ärmeren Nordosten Brasiliens war das Thema Jugendarbeit und Fußball ein Programmfokus, nicht zuletzt durch das Stadtteilzentrum CUCA (Centro Urbano de Cultura, Arte, Ciência e Esporte), das Jugendliche mit sportlichen, kulturellen und sozialen Angeboten anspricht. Auch hier fanden Treffen mit verschiedenen Torcidas und Besuche in deren Räumlichkeiten statt. Deutlich wurde auch hier, dass bei allen Unterschieden manche Feindbilder in Brasilien ebenso fest verankert sind wie in Deutschland. „Wir haben das Gefühl, die Polizei und die Presse arbeiten zusammen, um die Torcidas zu zerstören“, so einer der Fans in der Gesprächsrunde. Nach mehreren Ausschreitungen bei Derbys zwischen Fortaleza und Ceará sind aktuell drei Torcidas in der Stadt von der Auflösung durch die Staatsanwaltschaft bedroht und haben derzeit ein Auftrittsverbot im Stadion.
Gerade Fortaleza - im Sommer auch Gruppenspielort für die deutsche Nationalmannschaft - hinterließ ambivalente Eindrücke. Der Ort gilt mit seinen langen weißen Stränden als beliebtes Urlaubsziel in Brasilien, hinter den Hotelhochhausreihen an der Promenade wird jedoch schnell die Armut der Region sichtbar. Selbst WM-Besucher, die nur zum Spiel anreisen, können sich dem nicht gänzlich entziehen. Das für die WM komplett umgebaute Stadion Castelão liegt zwar in der Nähe des Flughafens, aber auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Favela. Die Kluft zwischen Arm und Reich war somit für die Reisegruppe immer wieder sichtbar, auch ohne einen Favelabesuch.
Auch in Brasilien sind die Fans sozial aktiv. Das konnte die Reisegruppe bei einem Besuch auf dem Land feststellen, wo drei Torcidas unterschiedlicher Vereine seit Längerem kooperieren, um ein 50 Kilometer von Fortaleza entferntes Dorf mit Wasser- und Kleidungsspenden zu versorgen. Der Ausflug nach Campos Belos fügte den verschiedenen Stationen der Reise eine weitere Facette hinzu. „Wichtig war zum einen die Unterschiede zwischen den großen Städten kennenzulernen“, sagt Anna Hörmann, „aber auch der Besuch des Dorfes außerhalb von Fortaleza ohne fließendes Wasser, in dem die Torcidas an einem Sozialprojekt mitarbeiten.“
Weiter geht’s in Deutschland
Mit der Rückkehr aus Brasilien ist jedoch nur der erste Teil des Fanaustauschs abgeschlossen. Zum Projekt der GIZ gehört auch noch der Rückbesuch aus Brasilien, der im Frühjahr erfolgen und an vier Fanprojekt-Standorten durchgeführt werden soll.
Neben der „Gelben Wand“ in Dortmund, deren Ruf auch über den Atlantik gelangt ist, gibt es mit der Hauptstadt Berlin, Augsburg als einer der ältesten Städte, aber relativ jungem und überschaubarem Fanprojektstandort in Liga eins und natürlich dem Karnevalspendant Düsseldorf auch in Deutschland ganz unterschiedliche und besondere Reiseziele.
Gerd Wagner von der KOS: „Ich bin zuversichtlich, dass unsere Reise und der bevorstehende Gegenbesuch Ende März/Anfang April die Bedeutung von sozialpädagogischer Arbeit mit jugendlichen Fußballfans auf höchster sport- und jugendpolitischer Ebene in Brasilien noch weiter befördert.“ Für den Austausch zwischen den deutschen und brasilianischen Fans und Fangruppen, gemeinsame Spielbesuche und Diskussionen, bei denen die Eindrücke aus den Begegnungen in Brasilien noch weiter vertieft werden, gilt das mit Sicherheit ebenfalls.