01.02.2002 |

Harald Katemann: "Ich sach mal, ich spiele auch Fußball"

"Schleuder-Harry" und das Geheimnis des Heuballenwerfens(Ausgangssituation: DSF zeigt einen Einwurf von Harald Katemann im Fortuna-Trikot aus der Spielzeit 1995/96)

Moderator Peter Kohl (bewundernd): Da sieht man also: ungeheurer Zug auf den Ball. Gibt’s da ein Geheimnis?

 

Harald Katemann (sitzt entspannt in einem Studio auf einem Stuhl): Nein, eigentlich nicht. Also, wüsste ich nicht.

 

Kohl (Interesse heuchelnd): Jetzt sehen Sie nicht unbedingt so aus wie der Bodybuilder, der Mann mit den dicken Oberarmen. Trainiert man so was ganz speziell?

 

Katemann (sachlich): Ich hab’s eigentlich speziell nicht trainiert. Wir trainieren es jetzt ab und zu im Training, diese Situationen ein bisschen einzustudieren. Aber speziell hab ich’s nicht trainiert.

 

Kohl (leicht genervt): Man sieht, man kann Tore aus solchen Situationen erzielen, die Mannschaftskameraden werden das auch gemerkt haben. Gehen Sie jetzt ganz bewusst im Spiel mehr über die Flügel, um dann auch solche Einwürfe zu provozieren?

 

Katemann (sachlich): Weiß ich nicht. Glaub’ ich nicht. Ich sach mal, unser Spiel ist sowieso über die Flügel angelegt, und deshalb glaub’ ich’s eigentlich nicht. Ich sach mal, wenn dabei ein Einwurf natürlich herausspringt, ist es gut.

 

Kohl (mit den bisherigen Antworten unzufrieden): Das zweite Jahr jetzt dabei bei Fortuna Düsseldorf, damals geholt aus Bocholt von ihrem heutigen Trainer Aleksandar Ristic. Jetzt sind Sie 24, und es heißt immer, der Aleksandar Ristic, er kann mit jungen Spielern nicht. Stimmt das?

 

Katemann (sachlich): Ich glaub’ es nicht. Man sieht ja jetzt, dass auch, ich sach mal, relativ viele junge Spieler mitspielen. Ich glaub’ es eigentlich nicht.

 

Kohl (intellektuell angehaucht): Aleksandar Ristic sagt auch immer: "Müssen spielen mein System. Dauert, bis alle es kapieren." Wie sieht denn dieses System jetzt genau aus?

 

Katemann (sachlich): Hmm, ich sach mal, wir müssen in der Defensive gut stehen und dann, ich sach mal, das Spiel über außen auch anlegen. Und viel Wert legt er natürlich auf Standardsituationen.

 

Kohl (weit ausholend): Jetzt haben Sie Ihre Stärken vor allem in der Abwehr. Da werden Sie momentan zumindest sehr defensiv eingesetzt. Jetzt noch diese Einwürfe, Sie zeigen auch Zug nach vorne. Ich hab’ gehört, als wir uns schon mal unterhalten haben, Sie haben als Stürmer angefangen (schmunzelt). Taugt Ihnen das jetzt, immer weiter zurück zu fallen?

 

Katemann (sachlich): Ömm, ich denke schon. Ich sach mal, mir gefällt’s ganz gut. Ich hab’ da keine Probleme mit.

 

Kohl (will einen Witz machen): Diese Einwürfe, für die Sie bekannt geworden sind - wären Sie da nicht besser Handballer geworden?

 

Katemann (sachlich): Nein. Ich bin froh, dass ich Fußballer geworden bin.

 

Kohl (provokativ): Ärgert Sie das nicht trotzdem, dass jeder Sie nur mit diesen Einwürfen in Verbindung bringt und keiner vom Fußballer Katemann redet?

 

Katemann (sachlich): Nein, ich hab’ da eigentlich keine Probleme mit. Ich sach mal, es ist halt so, ich sach mal, ich spiele auch Fußball. Ich hab’ da keine Probleme mit.

 

Kohl (argwöhnt): Vielleicht liegt das Geheimnis im Heuballenwerfen. Bekanntermaßen kommen Sie von einem Bauernhof, vom elterlichen. Wohnen Sie immer noch auf dem Land?

 

Katemann (sachlich): Ich wohne weiterhin auf dem Land, ja.

 

Kohl (ungläubig): Gibt’s da ’ne ganz besonders günstige Ernährung, die so was forciert? Oder wie erklären Sie sich selber dieses Phänomen?

 

Katemann (sachlich): Nein, wüsste ich nicht. Also wie gesagt, ich hab’s nicht speziell trainiert und habe auch nichts Spezielles gegessen.

 

Kohl (nervend): Ganz nah dran wieder am Abstieg, wir haben die anderen Mannschaften am Samstag gesehen. Es haben alle gewonnen, die unten drinne stehen. Ist das eine besondere Belastung vor dem heutigen Spiel gegen Gladbach?

 

Katemann (sachlich): Ich weiß nicht. Ich sach mal, man sieht wohl, dass man punkten muss, aber ob das eine besondere Belastung ist? Ich weiß es nicht.

 

Kohl (gelangweilt): Was macht Sie denn so optimistisch, dass Sie den Klassenerhalt schaffen werden?

 

Katemann (sachlich): Weil wir eine ganz gute Rückrunde gespielt haben. Wir sind eigentlich ganz gut drauf, und ich bin sicher, dass wir die nötigen Punkte noch holen werden.

 

Ein Interview, das zum Epos wurde. Harald Katemann ließ mit diesen bemerkenswerten Statements den überforderten Reporter des DSF im Regen stehen. Katemann, jetzt in Diensten des heutigen Gegners 1. FC Bocholt, spielte von 1994 bis 1997 unter Trainer Aleksandar Ristic im Dress der Flingerner (132 Spiele, acht Tore). In Erinnerung blieb aber nicht nur dieses Interview des redegewandten Fußballers, sondern vor allem seine Einwurftechnik. Zum Verhängnis wurde die gleich mehreren Fußballgrößen. So feierte Fortuna am 24. August 1996 im Leverkusener Haberland-Stadion einen tollen 1:0-Sieg, nur weil Harald wieder einmal eine seiner als "Einwurf-Flanke" von Reportern geschätzten Vorlagen gab und Thomas Seeliger zum Siegtreffer gegen konsternierte Leverkusener einschoss. "Seeliger macht aus Daum 'nen Däumling", titelte eine Zeitung darauf, und Katemann geriet zum Handballer unter den Fußballern.

 

Eine Sportzeitschrift errechnete, dass Katemann, genannt "Schleuder-Harry", den Ball über 50 Meter weit werfen konnte. Das war ihm bis Saisonende der ersten Bundesliga-Spielzeit allein rund 80 Mal gelungen. Fortuna war Bundesliga-Spitze bei "Einwurf-Flanken".

Doch den berühmtesten Einwurf seiner Karriere hatte er da bereits vier Monate hinter sich. In einem "Sechs-Punkte-Spiel" hatte Carlo Werner am 10. April 1996 soeben gegen den Club aus der "Region", den 1. FC Kaiserslautern, soeben den Ausgleich per Strafstoss erzielt. Da juckte es Katemann in den Fingern. Sein Einwurf in Minute 73 landete ebenso zielsicher wie respektlos direkt auf dem Haupt von Weltmeister Andreas Brehme. Der fackelte nicht lange und zirkelte das Leder souverän in den Winkel des Tores - des eigenen wohlgemerkt. "Vom WM-Helden zur tragischen Figur: Ausgerechnet Andreas Brehme, der Deutschland 1990 in Rom mit seinem verwandelten Elfmeter zum 1:0-Endstand im Finale gegen Argentinien den Weltmeistertitel gesichert hat, könnte entscheidend dazu beigetragen haben, sollte Bundesliga-Gründungsmitglied 1. FC Kaiserslautern am 18. Mai in der Endabrechnung erstmals den bitteren Weg in die Zweitklassigkeit antreten müssen." So las sich das damals in den bunten Blättern der Republik. "Die Region weinte", Andy Brehme schluchzte, und Harald Katemann war der "Sensenmann". Willkommen in Düsseldorf!

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