06.09.2019 | Verein

Inge Auerbacher als Zeitzeugin zu Gast

Erinnerungen und Mahnung in der Hochschule Düsseldorf

Zu einem Gespräch mit einer beeindruckenden Zeitzeugin hatte Fortuna am Dienstagabend in die Hochschule Düsseldorf eingeladen: Inge Auerbacher, Überlebende der Shoa, stellte ihre anrührende Biographie vor und beeindruckte die etwa 120 Besucher*innen nicht nur durch ihre Worte und ihre positive Ausstrahlung, sondern auch durch mahnende Worte.

Inge Auerbacher wurde 1934 in der Nähe von Göppingen geboren - als einziges Kind einer sehr gläubigen jüdischen Familie. Ihr Bewusstsein für die Geschehnisse um sie herum erwachten mitten in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes. „Niemand hatte Hitler so recht ernstgenommen oder eine Ausgrenzung erwartet“, sagte sie, wo doch ihr Vater im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war. Doch dann ging es aus ihrer Sicht alles recht schnell. Sie wurde aus der Schule ausgeschlossen, es kam die Pogromnacht 9. November 1938, die Scheiben ihres Elternhauses wurden eingeschlagen, die Synagoge in ihrer ansonsten beschaulichen Heimat brannte und Vater und Großvater wurden zeitweilig in Dachau inhaftiert.

Sehr intensiv zeigte Inge Auerbacher die Fortschreibung des Martyriums auf -  wie es sich anfühlte, mit nur sieben Jahren die gewohnte Umgebung verlassen zu müssen, dadurch die vertrauten Menschen zu verlieren und an einen fremden Ort verbracht zu werden, nämlich ins Ghetto Theresienstadt, das hoffnungslos überfüllt war, was selbst dem kleinen Mädchen Inge auffiel. Und die bohrenden Fragen, die sich ihr schon damals stellten: „Warum ausgerechnet ich? Warum hassen die Leute mich? Was habe ich ihnen getan? Ich bin doch nicht anders als die anderen Kinder.“

Dennoch sieht sich die 84-Jährige nicht als Opfer und will auch nicht als Solches behandelt werden. Vielmehr sieht sie ihr Glück im Unglück - dass sie überlebt hat. Gleichzeitig setzt sie Kontrapunkte, die ihr damaliges Leben skizzierten: In einer Atmosphäre der ständigen Angst und des Mangels leben zu müssen. Einzig die Eltern waren ihr geblieben und ließen Inge Auerbacher nicht vollkommen verzweifeln. „Letztlich hatte niemand damit gerechnet, dass man erschossen oder gar vergast wird.“ Bis ihre damals beste Freundin selektiert und nach Auschwitz deportiert wurde, wo man sie umbrachte. Es sollte nicht der letzte Abschied für immer sein, denn immer mehr Menschen mussten Theresienstadt verlassen – nach Riga, nach Izbica oder Birkenau. „Und es gab kein Wiedersehen.“

Nach der Befreiung des Lagers kehrte sie über Umwege zunächst in ihre Heimat zurück, ehe sie 1946 in die USA emigrierte. Als Nachwirkungen ihrer unmenschlichen Haftbedingungen im Ghetto erkrankte sie lange und schwer. Dennoch war sie ehrgeizig genug, die ihr fremde Sprache zu lernen, vielfach auch aus Kinderbüchern.

Nachdem sie sich einigermaßen erholt hatte, war ihr größter Wunsch, zur Schule zu gehen und „ein einigermaßen normales Leben zu führen.“ Sie studierte, nahm 1953 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und wurde erfolgreiche Chemikerin in einem Krankenhaus. Ein Professor riet ihr schließlich irgendwann, ihre Erlebnisse aufzuschreiben. „Also nahm ich Papier und Bleistift und schrieb.“ Drei Jahre brauchte sie und sie suchte einen Titel, der ihr schließlich in der U-Bahn einfiel - „Ich bin ein Stern.“

Sie gibt zu, dass sie eine ganze Weile suchen musste, bis sie einen Verlag fand, doch inzwischen ist das Buch so erfolgreich, dass es in viele Sprachen übersetzt wurde. Natürlich ist die Analogie gegeben zu dem Stern, den sie zu tragen gezwungen wurde, und den sie an diesem Abend vorzeigte.

Doch das Credo des Buches ist weiter gefasst und wie viele Gedanken von Inge Auerbacher mit einer positiven Botschaft verbunden: „Jeder Mensch kommt als Stern auf die Welt und hat etwas Besonderes. Alle können Gutes vollbringen, manchmal auch kommt dabei etwas Schlechtes heraus. Aber sie bleiben Sterne.“

Wieso aber hat Inge Auerbacher eine derartige zugewandte, empathische Art und ist nicht zu einer verhärmten Frau geworden? „Dieses Vertrauen habe ich durch viele neue, liebenswürdige Bekannte neu erlernt. Mein Leben war nicht nur das KZ und ich wollte das Leben leben, das mir geschenkt worden war.“ Denn sie ist sich bis heute bewusst, dass es ein Glücksfall war, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern die Zeit des Nationalsozialismus mit allen Repressionen überlebt hat. „Nur ein Prozent der jüdischen Bevölkerung aus meiner Heimat ist dem Holocaust und der Ermordung entkommen.“

Dennoch weiß sie zu betonen, dass unter den „Sternen“ auch Menschen sind, denen sie niemals verzeihen kann. Eichmann, den sie kennen lernte, oder Höss, die sie - zurecht - als Mörder bezeichnet. Aber sie will auch nicht vergeben, denn: „Vergeben bedeutet richten. Ich bin aber keine Richterin. Vergeben ist etwas, das Gott allein in der Hand hat.“

Die aktuelle Situation in Deutschland sieht sie mit Sorge und teilweise Empörung, weil sich Geschichte offenbar wiederholt. „Ich habe das Gefühl, es geht schon wieder los. Dabei hatte man doch geglaubt, es sei alles besser geworden: Letzter Krieg, letzter Hass. Doch der Mensch lernt nicht. Es fängt schon im Kleinen an, woraus sich Hass entwickelt.“ Als Ursache sieht sie die Weigerung der Menschen, das Fremde anzunehmen und sich damit zu beschäftigen. Dies erzeuge letztlich Vorurteile, Ausgrenzung und Ablehnung. „Ich bin immer noch die Jüdin - aber was heißt denn das? Aber ist es nicht egal, zu wem jemand betet? Wir sind doch alle in erster Linie Mensch! Man muss Menschen, egal welcher Herkunft, verstehen wollen - wie andere denken, wie sie leben, wie sie fühlen. Die Konfession ist dabei doch egal.“

Eben dieser Haltung zu begegnen sei für sie weiterhin der größte Ansporn. „Ich will von Herzen mit jungen Menschen reden. Um zu vermitteln, zu lehren. Und hoffe, dass man wenigstens ein Wort erhört.“ Denn: „Jeder Krieg und jeder Hass taugt nichts. Er bringt nur Unheil und unzählige Tränen. Die paar Jahre, die ich noch habe, will ich nutzen, und die Menschen zusammenführen und von Hass abbringen.“

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-Justizministerin a.D. und jetzt (ehrenamtliche) Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, hatte den Weg für das Gespräch in der Hochschule Düsseldorf geebnet, denn auf ihre Einladung ist Inge Auerbacher die gesamte Woche in Deutschland zu Gast.

Auf die Frage, warum es überhaupt eine Antisemitismusbeauftragte gebe, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: „Es ist traurig, dass Rassismus und Hass gegen andere Religionen in Deutschland leider wieder vermehrt in der Mitte der Gesellschaft vorzufinden sind.“

Sie betonte, dass es eine Verpflichtung des Staates gibt, sich für die Menschen einzusetzen. „Denn Artikel 1 unseres Grundgesetzes darf nie wieder in Gefahr geraten: Die Würde des Menschen ist unantastbar!“

Gleichzeitig brachte sie ihre Anerkennung für diese Veranstaltung zum Ausdruck: „Inge Auerbacher als Überlebende des KZs Theresienstadt ausgerechnet am ‚Erinnerungsort Alter Schlachthof‘ mit Fans von Fortuna Düsseldorf zusammenzubringen, ist mehr als nur ein Ausdruck von Erinnerung, Verständigung und Versöhnung.“

Die große Anzahl an Gästen, die den Weg in den Hörsaal der Hochschule gefunden hatten, unterstrichen die Aktualität und Bedeutung des Themas - unter ihnen auch der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Fortuna, Dr. Reinhold Ernst, und der Vorstandsvorsitzende, Thomas Röttgermann, sowie Paul Jäger, Direktor CSR.

Beschlossen wurde der Abend, der als weiteres Zeichen der Fortuna gegen Ausgrenzung und Rassismus gelten sollte und in Kooperation mit dem „Erinnerungsort Alter Schlachthof“ stattfand, mit einem Zitat von Schriftsteller Elie Wiesel, der sinngemäß einmal gesagt hat: Wer eine Zeitzeugin oder eine Zeitzeugen erlebt hat, wird selbst zur Zeugin oder zum Zeugen.

Tom Koster, CSR-Manager bei den Flingeranern, der das Gespräch moderierte, hob einmal mehr hervor, dass sich die Fortuna nicht nur als Sportverein, sondern auch als soziale Institution der Landeshauptstadt versteht. Damit ist Fortuna ein Teil dieser Gesellschaft und diese Rolle nimmt der Verein wachen Auges an.

Schon in der Vergangenheit hatte Fortuna Akzente zu setzen gewusst - mit Aktionen, Kampagnen und Studien- und Gedenkfahrten. „Dies ist unsere Philosophie und unverbrüchlicher Teil unserer Vereins-DNA.“ Der Verein wolle weiterhin Vorurteilen entschieden entgegentreten, Schwächere unterstützen und Menschen in Not helfen - immer im Schulterschluss mit den Mitgliedern und Fans.

„Erinnerungsort Alter Schlachthof“
Münsterstraße 156, 40476 Düsseldorf
Montag - Freitag 8 Uhr - 20 Uhr
Samstag 11 Uhr - 19 Uhr
Der Eintritt ist frei.
www.erinnerungsort-duesseldorf.de

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