10.08.2020 | Verein

Der Wegbereiter

Zum 100. Geburtstag von Heinz Lucas

Heinz Lucas hat eine sportlich außergewöhnliche und glanzvolle Zeit in der nunmehr 125-jährigen Vereinsgeschichte geprägt. Mit seinem Namen sind ganz eng die großen Erfolge in den 1970er-Jahren verbunden, als die Fortuna in der Bundesliga ihre besten Platzierungen erreichte, zahlreiche Auftritte auf internationaler Bühne hatte und Ende des Jahrzehnts zwei DFB-Pokalsiege feiern konnte, für die er in den knapp fünf Jahren seines Schaffens nachhaltig die Grundlagen gelegt hatte. Am heutigen Montag wäre Heinz Lucas 100 Jahre alt geworden.

Trainer kommen und gehen. Das war vor knapp 100 Jahren, als mit Heinz Körner der erste seiner Zunft verpflichtet wurde, nicht anders als heute und zukünftig. Mancher ist über die Zeit in Vergessenheit geraten, andere jedoch werden auch zukünftig einen festen Platz in der Historie der Fortuna einnehmen - Heinz Lucas gehört dazu.

Heinz Lucas war fast ein halbes Jahrhundert Chef an der Seitenlinie und schuf mit vergleichsweise überschaubaren finanziellen Mitteln die Basis zum Aufstieg zu einer der besten Vereinsmannschaften Europas. Seine Verpflichtung mutet im Nachhinein wie ein Kuriosum an. Nachdem Vorgänger Otto Knefler sein Trainer-Amt bei Fortuna quittiert hatte, suchte der Verein einen Nachfolger - per Stellenanzeige im Kicker. Ehrenpräsident Hans-Georg Noack erinnert sich über diese ungewöhnliche Vorgehensweise: „Auf Wunsch des Vorstands hatte ich diese Annonce geschaltet.“ Bewerbungen gingen anschließend zuhauf ein und vielleicht war es eine ganz besondere Empfehlung, durch die Heinz Lucas letztlich das Rennen machte. Benno Beiroth, damals noch Aktiver am Ball kannte den damals 49-Jährigen noch vom VfB Lübeck, wo er ihn als obersten Übungsleiter erlebt hatte und daher den Verantwortlichen empfahl: „Gut möglich, dass ich damals zumindest dazu beigetragen habe, dass er bei uns unter Vertrag genommen wurde.“

Als Spieler in Berlin und Bayern
Auch Lucas hatte eine Karriere als Aktiver absolviert, was, wie man sagt, im Umgang mit Spielern von Vorteil sein kann - „weil man weiß wie sie ticken.“ In Berlin, wo er am 10. August 1920 geboren wurde, begann er schon in Jugendjahren beim Charlottenburger FC Hertha 1906, wo er als Spieler mit Potential galt. Eine gradlinige Fortsetzung seiner Karriere blieb ihm jedoch durch den Zweiten Weltkrieg verwehrt. Erst als die Waffen wieder schwiegen, spielte er bei Bayern Kitzingen, Ulm 1846 und FV Würzburg. Erst 1951 kehrte er in seine Heimat zurück, wo er beim Berliner SV 1892 anheuerte. Während er parallel dazu seinen alten Club CFC trainierte, absolvierte Lucas 1955 auch noch bei Sepp Herberger die Ausbildung zum Fußballlehrer an der Sporthochschule Köln.

1958 erhielt Lucas sein erstes Oberliga-Angebot - beim VfL Neumünster, wo er vier Saisons blieb. Er blieb im Norden, war zwischenzeitlich bei Hannover 96, ehe er 1964 zum VfB Lübeck ging, wo er gleichfalls vier Jahre blieb. Seine Kompetenz als Trainer konnte man zu diesem Zeitpunkt bereits daran ablesen, dass er über viele Jahre Vorsitzender der Verbandsgruppe Nord beim Bund Deutscher Fußballlehrer war. Nach einem Abstecher bei den Lilien am Darmstädter Böllenfalltor trat er seinen Dienst bei Fortuna am 1. Juli 1970 an. Schon in seiner Antrittsrede ließ Lucas keinen Zweifel offen: Er will mit der Fortuna in die Bundesliga. Ein Jahr später hatten die Flingeraner Platz 2 in der Regionalliga West und somit die Qualifikation zur Aufstiegsrunde in die Bundesliga erreichte. Die absolvierten die Flingeraner ungeschlagen und die seit 1967 sehnsüchtig erwartete Rückkehr ins Oberhaus des deutschen Fußballs war perfekt.

Lucas führt Fortuna in europäischen Wettbewerb
In dieser Zeit sollte Lucas zu einem der Spitzentrainer der Republik reifen. Denn seine Art, wie er mit der Mannschaft umging, wie er sie formte, indem er Talente und bezahlbare Profis an den Rhein lotste, ernteten positive Beachtung. Und die Erfolge, die er verbuchte, sprachen für sich und waren herausragend. Von den vielzitierten Experten zum designierten Abstiegskandidaten abgestempelt, belegte Fortuna 1971/1972 einen beachtlichen 13. Platz - zehn Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt. Schnell hatte sich ein Gerüst aus Stammspielern gebildet mit Wilfried Woyke, Egon Köhnen, Werner „Timo“ Kriegler, Werner Lungwitz, Klaus Iwanzik, Peter Biesenkamp, Fred Hesse, Heiner Baltes, Klaus Budde, Dieter Herzog, Hans Schulz oder Reiner Geye. Teilweise sollten sie noch viele Jahre Rot-Weiße bleiben. Gerd Zewe, Neuzugang von 1973, erwies sich als Volltreffer und als Überraschung der Saison wurden die Flingeraner 1972/1973 Tabellendritte - hinter den Bayern und dem 1. FC Köln. Erstmals rief Europa, denn man hatte sich damit für den UEFA-Cup, heute Europa League, qualifiziert und kam bis ins Achtelfinale. Die Mannschaft um Kapitän Fred Hesse zeigte in der darauffolgenden Spielzeit ausgesprochen beständig und wurde abermals Dritter. Wieder war es ein saarländischer Neuzugang, Wolfgang Seel, der mit dazu beitrug, dass die Rot-Weißen lediglich acht Punkte vom zweiten Meistertitel nach 1933 entfernt abschlossen.

In der darauffolgenden Saison landete die Fortuna drei Plätze schlechter - auf Rang 6. Zwar hatte man die gleiche Punktzahl wie der 1. FC Köln, doch der wies ein besseres Torverhältnis aus und Fortuna verpasste den europäischen Wettbewerb denkbar knapp.

Heinz Lucas war zu dem Zeitpunkt schon rot-weiße Geschichte. Denn seine letzte Partie als Fortune endete sechs Spieltage vor Saisonende an einem Freitagabend im April 1975 mit einem 2:0-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern. Fortuna war da auf dem 8. Platz mit nur vier Punkten Rückstand auf Platz 2. Die großen Verdienste des damals 55-Jährigen hatte jeder erkannt und so schallte durch das weite Rund des Rheinstadions ein lautstarkes „Lucas, wir danken Dir!“. Über die Umstände, warum sich die Wege von Fußballlehrer und Verein trennten, gibt es unterschiedliche Erzählweisen. Bezeichnend scheint indes der Abschied im internen Kreis im Benrather Hof, wo sich der damalige Präsident mit dem zotigen Spruch an die Anwesenden gefiel: „Sauft! Fresst! Der Trainer bezahlt!“ Dem stets auf Respekt bedachten Heinz Lucas stieß diese Bemerkung auch Jahrzehnte später sauer auf.

Weitere Trainerstationen
Wie nachhaltig seine Arbeit war, konnte man an den Erfolgen ablesen, die sich nach Lucas‘ Weggang einstellten. Denn bei den DFB-Pokalsiegen und dem unvergessenen Europokalfinale gegen den FC Barcelona standen nicht weniger als sechs Spieler aus seiner Zeit im Kader. „Eigentlich waren es sogar sieben“, pflegte Lucas immer wieder zu betonen. Womit er Benno Beiroth meinte, der seine aktive Karriere beendet hatte und zum Manager des Vereins aufgestiegen war.

Die Qualität Lucas‘ spricht für sich, dass er nur wenige Tage nach seinem Weggang von Zweitligist TSV 1860 München verpflichtet wurde. Die Giesinger, die in den 1960er-Jahren ihre erfolgreichste Zeit hatten, wollten ebenfalls schnellstmöglich wieder in die Beletage des deutschen Fußballs zurückkehren, was unter Heinz Lucas zwei Jahre nach Amtsantritt auch gelang. Nachdem die „Löwen“ allerdings sofort wieder abstiegen und sich nach der Hinrunde in der 2. Bundesliga nur im Mittelfeld bewegten, folgte die Demission Lucas‘ - ausgerechnet an Weihnachten.

Nach weiteren Stationen in Braunschweig und beim Wuppertaler SV sprang Lucas 1981 noch einmal für ein Vierteljahr bei der SpVgg Fürth ein, die er in den letzten Tagen vor Saisonschluss vor dem Abstieg bewahren konnte. Danach, mit knapp 61 Lenzen, war für ihn Schluss im Profifußball. Vertraute aus seinem Umfeld wollen mitbekommen haben, dass nicht zuletzt seine Frau Delo, ihres Zeichens Sportlehrerin, ihn zu diesem Schritt geraten haben soll. Zusammen zogen sie 1982 nach Mettmann und Heinz Lucas blieb dort auch wohnen, nachdem seine Frau 2002 verstarb.

Nach der Karriere
Vielleicht war dies für ihn ein schwererer Schlag, als er es nach außen zugeben wollte. So wie er sich auch darüber ausschwieg, dass er im Krieg schwer verwundet wurde und fast drei Dutzend Operationen über sich hatte ergehen lassen müssen. Ein Granatsplitter in seinem Kopf, der inoperabel war, konnte jederzeit schwerste Kopfschmerzen auslösen. Doch Lucas beklagte sich nie - im Gegenteil: Auch dabei blieb er vorbildlich und sagte: „Was soll ich mich beschweren, wo ich so viele Kameraden im Feld verloren habe. Ich aber lebe noch und mir geht es doch gut.“ Dennoch wurde immer offensichtlicher, dass es ihm zunehmend schwerfiel, sich an früher, an die Zeiten seiner großen Erfolge als Fußballtrainer, zu erinnern. Seit 2009 lebte er einem Seniorenstift in Erkrath. Benno Beiroth, mit dem er zuvor schon lange Zeit ein inniges Verhältnis gehabt hatte, wurde, ebenso wie der frühere Schatzmeister Herbert Kreidt, sein engster Vertrauter. Heinz Lucas hatte zwar weder Kinder noch Angehörige. Doch die Besuche seiner Ehemaligen an seinem Altersruhesitz - sei es zum Geburtstag oder einfach zwischendurch - ließen ihn immer wieder sehr intensiv spüren, dass er nie allein war und er damit die Empathie zurückbekam, die er selbst in vielen Jahrzehnten zu geben wusste.

Heinz Lucas war ein akribischer Arbeiter - das belegen nicht zuletzt die Tagebücher, die der Fortuna vorliegen. Aus seinen mehrere tausend Seiten umfassenden Aufzeichnungen geht exakt hervor, wann trainiert wurde, wie die Trainingslager abliefen, worauf beim Gegner zu achten war und welche taktischen Vorgaben er seinem Team mit auf den Weg gab. Ansprachen an die Mannschaft sind ebenso verewigt. Heinz Lucas überließ nichts dem Zufall. Dabei blieb er stets ein bescheidener, warmherziger Charakter, der seine Karriere im Fußball nie als Selbstverständlichkeit empfand. Lucas zitierte immer wieder Wilhelm Busch: „Ein Mensch ist manchmal wie verwandelt, sobald man menschlich ihn behandelt.“ Dies lebte er im Umgang mit seinen Mitmenschen vorbildlich. Kameradschaft, Vertrauen, Respekt und Fairness waren ihm wichtig und er war fest davon überzeugt, dass gemeinsamer Erfolg nur auf dieser Basis möglich sein konnte. Lange bevor der später Bundestrainer Berti Vogts den Satz „Der Star ist die Mannschaft“ prägte, war dies unter Heinz Lucas und bei Fortuna bereits gelebtes Prinzip.

Herausragende Persönlichkeit und väterlicher Freund"
Er begründete die „Fortuna 70“, deren Nachfolge die heutige Traditionsmannschaft angetreten hat, und initiierte regelmäßige Treffen außerhalb des Platzes, oft und gern im Mettmanner Haus, wo sich besonders der Streuselkuchen von Ehefrau Delo größter Beliebtheit erfreute. Dass sich die inzwischen in die Jahre gekommenen Fortunen noch immer regelmäßig treffen und dafür teils von sehr weit her anreisen, ist ein beredtes Zeugnis für das außergewöhnliche Miteinander, das damals vorgeherrscht hat. Es war der Geist, den Heinz Lucas vermittelte, der unverbrüchlich mit seinem Wirken und Schaffen verbunden sein wird. Ehrenpräsident Hans-Georg Noack lernte Heinz Lucas nach eigenem Bekunden als „herausragende Persönlichkeit, fleißig, stets vertrauenswürdig und als väterlichen Freund für die Spieler“, kennen. Und Benno Beiroth, inzwischen Ehrenmitglied, behält „seinen Elan, seine Art, Menschen zu begeistern und mitzureißen“ in bester Erinnerung. „Heinz Lucas hätte man auch mitten in der Nacht anrufen und um Hilfe bitten können: Er wäre sofort zur Stelle gewesen.“

Heinz Lucas verstarb am 18. Juli 2016 in einer Erkrather Seniorenresidenz. Fortuna verlor einen echten 95er, der mit seiner Mannschaft 95 Pflichtspielsiege holte und 95 Jahre alt wurde.

Kein Rot-Weißer, der dabei an einen Zufall denken mag.

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