12.03.2021 | Verein

„Der Tag X ist unser Licht am Ende des Tunnels“

Thomas Röttgermann im Interview: ein Jahr nach der ersten coronabedingten Spielabsage

Am 13. März 2020 wurde die Bundesliga-Partie zwischen Fortuna Düsseldorf und dem SC Paderborn „wegen Corona“ abgesagt. Der Startpunkt in ein Fortuna-Jahr, das von den Folgen der Pandemie geprägt war. Vorstandsvorsitzender Thomas Röttgermann zieht im Interview Bilanz nach einem ganz speziellen Jahr.

Herr Röttgermann, an diesem Samstag vor einem Jahr ist das Bundesliga-Spiel zwischen der Fortuna und dem SC Paderborn aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt worden. Können Sie sich noch an den Tag erinnern?
Ja, natürlich! Diesen Tag werden wir wohl nicht so schnell vergessen. Wir als Fortuna hatten das tragische Vergnügen, sonntags in Mainz das letzte Bundesliga-Spiel vor Zuschauern zu absolvieren. Und jenes Paderborn-Spiel war dann am Freitag die erste Bundesliga-Partie, die wegen Corona nicht stattfinden konnte. Noch am Freitagmittag schien es so, als würden wir am Abend erstmalig vor leeren Rängen spielen müssen. Doch das wäre zu diesem Zeitpunkt unverantwortlich gewesen. Wir haben an diesem Tag unzählige Gespräche mit den Verantwortlichen der DFL, dem Gesundheitsamt und anderen Clubs geführt, so dass am späten Nachmittag der komplette Spieltag abgesagt wurde.
 
Dabei blieb es dann bekanntlich nicht. Erst im Mai konnte der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden. Wie haben Sie diese Phase ohne Bundesliga-Fußball erlebt?
Es war damals die absolut richtige Entscheidung, den Spielbetrieb auszusetzen. Keiner konnte diese neue Situation, die das Virus verursacht hat, gänzlich überblicken. Wir haben die folgende Zeit aber gut genutzt, so dass im Mai wieder gespielt werden konnte. Dank einem Hygienekonzept, das weltweit Anerkennung fand.
 
Was kam durch die Aussetzung des Spielbetriebs und den Lockdown im März 2020 auf die Fortuna zu?
Diese unverschuldete Situation war für uns alle neu und daher hatte auch keiner ein Handbuch in der Schublade. Die erste Phase der Pandemie im März hat uns vor zahlreiche Fragen gestellt: Wie gehen wir mit unseren Mitarbeitern um? Was können unsere Spieler jetzt machen? Wie können wir die finanziellen Einbußen kompensieren? Welche Folgen hat das im Hinblick auf die neue Saison? Was können wir als Fortuna für die Gesellschaft tun? Um nur einige Fragen zu nennen. Daher haben wir umgehend in den Krisenmodus geschaltet.

Wie ist die Fortuna dann in dieser Krisensituation vorgegangen?

Wir als Verein haben uns zur Aufgabe gemacht, diese Krise gemeinsam und aktiv zu bewältigen. Das war unser oberstes Credo und hat der Fortuna in ihrer bewegten Geschichte schon oft geholfen. Wir wollten solidarisch, kreativ, bodenständig und ganz nah an den Menschen agieren. Deshalb wurden Ende März sieben Krisenstäbe gebildet, die genau das gewährleisten sollten. Diese Zielklarheit und die auf die Krise angepasste Organisation haben uns geholfen, die Dinge anzugehen und am Ende auch im Sinne des Vereins gut zu lösen. Hier gilt mein ausdrücklicher Dank allen Mitarbeitern, die einen super Job gemacht haben! Alle haben für Fortuna an einem Strang gezogen – auch wenn die persönliche Situation oft selbst schwierig war oder ist.

Unser sehnlichster Wunsch ist ein volles Stadion.

Das Arbeiten hat sich während der Kontaktbeschränkungen für alle stark verändert. Welche Umstellung ist Ihnen im letzten Jahr besonders in Erinnerung geblieben?
Die größte Umstellung war natürlich die Tristesse am Spieltag - ob als einer der wenigen Besucher im Stadion oder vor dem Fernseher. Positiv ist mir aber unsere erste digitale Mitgliederversammlung in Erinnerung geblieben. Trotz vieler Unwägbarkeiten und der Ungewissheit, wie alles funktioniert, haben die verantwortlichen Kollegen einen super Job gemacht. Neben der gelungenen Versammlung haben wir viele internen Prozesse umstellen müssen, von denen viele auch nach der Krise Bestand haben werden. 

Welche konkret?
Homeoffice, virtuelle Meetings und das Einsparen unnötiger Reisen wird es bei der Fortuna auch in Zukunft geben. Viel mehr noch: Fortuna wird nach der Krise ein moderner und innovativer Arbeitgeber sein. Wir wollen durch unsere Kreativität zeigen, dass es keinen aufgeblähten Personalapparat braucht, um erfolgreich zu sein.

Es gelingt nur gemeinsam, Krisen zu bewältigen.


Können Sie Beispiele nennen, an welchen Stellen die aktive Bewältigung der Krise gut funktioniert hat?
Einer der Krisenstäbe hat sich ausschließlich damit beschäftigt, die extremen finanziellen Folgen der Pandemie abzufedern. Wir haben eine Mischung aus Sofortmaßnahmen und langfristigen Instrumenten identifiziert und umgesetzt. So war es uns zu jederzeit möglich, auf die unvorhersehbaren Entwicklungen der Krise zu reagieren und hatten immer schnell eine Lösung für neu entstehende Probleme parat. Ein Jahr später können wir behaupten, dass wir als Fortuna verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen sind. Wir mussten uns, trotz Einnahmenverlusten im zweistelligen Millionenbereich, zu keinem Zeitpunkt Sorgen um unsere Existenz machen. Das ist für einen Verein wie Fortuna Düsseldorf in einer so einzigartigen Krise nicht selbstverständlich. Daran hat jeder Fortune seinen Anteil! Das zeigt uns auch, dass wir ruhig selbstbewusster sein können. Wir werden uns ambitionierte Ziele für die Zukunft setzen und uns nicht verstecken. Wir wissen, wo wir herkommen – aber auch wo wir hinwollen!

Wen meinen Sie mit „jeder Fortune“?

So wie die Fortuna in der 125-jährigen Geschichte Krisen bewältigt hat, war es auch diesmal nur gemeinsam möglich. Das haben alle eindrucksvoll gezeigt und da schließe ich wirklich jeden ein. Jeder, vom Spieler bis zum Dauerkarteninhaber, hat seinen Teil dazu beigetragen, dass wir bisher so durch diese schwierige Phase gekommen sind.

Gibt es weitere Beispiele, worauf der Verein im letzten Jahr besonders Wert gelegt hat?
Ich möchte gerne noch auf einen Krisenstab eingehen, der auch heute noch als abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe aktiv ist: Diese Gruppe hat sich zur Aufgabe gemacht, anderen in der Krise zu helfen. Denn auch wenn wir als Club vor vielen Herausforderungen standen und stehen, erkennen wir auch unser großes Privileg. Wir sind uns dieser Rolle sehr bewusst und wollen etwas zurückgeben. Das war schon im letzten März ein klares Ziel. Wir haben zahlreiche Aktivitäten organsiert und Maßnahmen umgesetzt, um Bedürftigen zu helfen. Darauf können wir als Verein sehr stolz sein, denn wir haben ‚Solidarität‘ gelebt und nicht nur davon gesprochen. Das bekommen wir von unseren Mitgliedern und aus der Stadt auch gespiegelt. Aktuell verkaufen wir ja unser Köbestrikot, mit dem wir die lokale Gastronomie unterstützen und bekommen sehr viel positiven Zuspruch von den Gaststätten. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist der Shuttle-Service für Vereinsmitglieder, die in der Arena geimpft werden. 

Nach einem Jahr: Welche Lehren ziehen Sie aus der Corona-Krise für die Fortuna?
Es gibt viele Lehren in verschiedensten Bereichen. In so einer Krise zeigt sich, ob eine Organisation funktioniert. Wir haben gezeigt, dass unsere funktioniert und was wir als Verein alles erreichen können, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Die Folgen der Pandemie haben uns aber auch sehr hart aufgezeigt, wie sehr uns die Atmosphäre im Stadion fehlt. Auch wenn jeder von uns auch vorher schon gesagt hätte, dass Fans im Stadion ein mitentscheidender Bestandteil unserer Fußball-Kultur sind, so sehr schmerzt uns jetzt jedes einzelne Geisterspiel, das wir absolvieren müssen. Ich hoffe sehr, dass wir diesen besonderen Spirit zwischen Fans und Spielern bald wieder erleben dürfen. Speziell ein Verein wie die Fortuna profitiert enorm von diesem Stadionerlebnis. Wir müssen alle daran arbeiten, dass wir möglichst schnell wieder Zuschauer im Stadion sehen und hören können – sobald es die Infektionslage zulässt.

Die Bundesliga hat die Kraft, Menschen zu begeistern. Wir müssen den Menschen aber auch zuhören!


Was glauben Sie: Wann ist ein Besuch eines Fortuna-Spiels wieder möglich?
Wir bereiten uns speziell auf diesen Tag X vor, indem wir konkret an Konzepten arbeiten, damit ein sicherer Stadionbesuch möglich ist. Grundlage ist eine, von der DFL miterarbeitete Konzeption, die einen sehr umfassenden und risikominimierten Weg zur schrittweisen Rückkehr von Zuschauern für Kultur und Sport aufzeigt. Anderen Sportarten, kulturelle Veranstaltungen und der Fußball könnten gleichermaßen von einem gemeinsamen Konzept profitieren. Eine Chance ist, auf der Basis von Schnelltests Besucher zuzulassen. Wenn man bedenkt, dass man im Rahmen dieses Hygienekonzeptes keine Angst vor einer Infektion haben müsste, ist dieser Tag X auch nicht mehr allzu weit entfernt. 

Die Mannschaft hat in einem emotionalen Video zu den Fans gesprochen und ebenfalls von „Tag X“ gesprochen. Wie ist dieses Video entstanden und wie wichtig ist der Tag X?
„Der Tag X, von dem wir sprechen, ist für uns das Licht am Ende des Tunnels. Jeder für sich und jede Branche sehnt sich nach einem befreienden Ereignis: Endlich wieder in der Stammkneipe ein Alt trinken, endlich wieder mit Freunden Fußballspielen oder ein gutes Konzert besuchen. Unser sehnlichster Wunsch ist ein volles Stadion! Daher ist die Mannschaft mit der Video-Idee auf uns zugekommen. Sie wollte den Fans zeigen, wie sehr sie die Anhänger vermisst. Ich glaube, in dem Video ist rübergekommen, wie sehr wir uns alle auf diesen Tag X freuen.

Hat der Fußball als Institution ebenfalls Lehren aus der Krise gezogen?
Das lässt sich aktuell noch nicht sagen. Ich glaube schon, dass viele Verantwortliche im Fußball sehen, dass das Rad überdreht wurde und sich der Fußball vom Menschen entfernt hat. Das hat auch die Corona-Krise nochmal offengelegt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nun auch danach gehandelt wird und wir wieder mehr auf die Menschen zugehen. Es gibt viele Beispiele, die Hoffnung machen, denn innerhalb der Bundesliga sehe ich viele wichtige, nachhaltige Projekte. Aber leider wird zurzeit nichts wirklich Handfestes unternommen, um den Kern des Fußballs wieder herauszuarbeiten. Denn dieser Kern ist es, der uns alle fasziniert. Eins der drängendsten Probleme ist dabei die systembedingte und leider auch systemgewollte Chancen-Ungleichheit unter den Vereinen. Sie ist ein Problem, weil damit das sportliche Ergebnis wirtschaftlich kalkulierbar wird. Und das verträgt sich nicht mit meiner Vorstellung von sportlichem Wettbewerb. Ich habe diesen Missstand im Fußball im letzten Jahr sehr häufig intern und öffentlich angesprochen, auch wenn ich mir damit nicht wirklich Freunde gemacht habe. Als Vorstandsvorsitzender von Fortuna Düsseldorf sehe ich es aber als meine Aufgabe, auf Missstände aufmerksam zu machen und nach Lösungen zu suchen – auch wenn Widerspruch bei einigen das bequeme Denken durcheinanderbringt. Daher ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Lehren aus der Krise: Die Bundesliga hat eine enorme Kraft, Menschen zu begeistern. Wir müssen den Menschen aber auch zuhören!

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