31.03.2011 | 1. Mannschaft

Eins zu Null 2.0

Der FC Erzgebirge Aue und Fortuna Düsseldorf haben viele Gemeinsamkeiten

Als Aufsteiger in die Zweite Liga gleich im ersten Jahr auf Rang vier, vor allem dank enormer Stärke in den eigenen vier Wänden und frappierend wenig Gegentoren: Das klingt doch verdächtig nach Fortuna Düsseldorf. Ist es aber nicht. Im Frühjahr 2011 blühen im Erzgebirge nämlich die "Veilchen" und sind bei nur vier Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz "ganz nah am Wunder" - der Trainer des FC Erzgebirge, Rico Schmitt, freut sich derweil allerdings erst einmal ausgiebig über den Klassenerhalt der Elf aus Aue.

Wer ein Fußballspiel im Auer Erzgebirgsstadion besucht, könnte vor Anpfiff kurz ins Schleudern darüber geraten, ob ihm sein Navigationsgerät womöglich ihm einen Streich gespielt hat. Da ertönt die Steiger-Hymne wie in Bochum ("Und der hat sein helles Licht bei der Nacht schon angezündt‚"), da sieht die Anzeigetafel nicht nur aus wie die alte Leinwand des Schalker Parkstadions, sie ist es nämlich wirklich, und da ertönen Fangesänge "Wir kommen aus der Tiefe, wir kommen aus dem Schacht!" - das Ruhrgebiet, mitten in Sachsen?

 

Natürlich nicht, aber zur Erklärung: Das beschauliche Aue ist eine traditionelle Bergbaustadt, und ebenso traditionsverbunden ist sein Fußballverein. Rückblende in die Fünfziger: Das Atomzeitalter war angebrochen, und der Hunger der Sowjetunion auf Uran gigantisch. Der Treibstoff der neuen Weltenzeitrechnung wird aus Erzen gewonnen, und eben daran war das Erzgebirge schon dem Namen nach nicht gerade arm. Bereits während der industriellen Revolution hatte Aue seinem Reichtum an Rohstoffen einen wahren Bevölkerungsboom zu verdanken gehabt, nun - seit  1946 - förderte die ortsansässige Sowjetisch-Deutsche Aktien-Gesellschaft Wismut Tonnen von uranhaltigem Gestein zu Tage und zeichnete auch für die Weiterverarbeitung verantwortlich. Die dazugehörige Betriebssportgemeinschaft entwickelte sich in den frühen Fünfzigerjahren rasch zu einem Vorzeigeverein des Ostfußballs. Die BSG Wismut Aue sollte über die Jahre zum HSV der höchsten Ost-Spielklasse avancieren, gewissermaßen zum DDR-Oberliga-"Dino" werden: Als der sozialistische Staat - und mit ihm sein Ligensystem - das Zeitliche segnete, hatte der Klub 39 Spielzeiten auf dem höchsten Leistungsniveau absolviert, mehr als Dynamo Dresden, mehr als Carl Zeiss Jena, mehr sogar als der von Stasi-Chef Erich Mielke geliebte, protegierte und mit allen Mitteln geförderte BFC Dynamo. Obwohl die BSG nach der Wende aufgelöst und der Verein 1990 als FC Erzgebirge Aue neugegründet wurde, bezieht er sein Identifikationspotential nach wie vor aus der Vergangenheit mit den "zwei gekreuzten Hämmern", die elementarer Bestandteil der Fankultur sind und bleiben.

 

Seit der ruhmreiche Chemnitzer FC bis in die Regionalliga durchrauschte, liegt Aue auf der deutschen Fußballlandkarte inmitten eines großen weißen Flecks. Fußballerisch ist der FCE im Süden des Gebietes der ehemaligen DDR ein weithin sichtbarer Leuchtturm. Zwischen Aue und den nächsten Städten mit aktuellen Profifußballvereinen liegen mitunter Autostunden, Drittligist Dynamo Dresden spielt fast 100, der nächstgelegene Zweitligist Energie Cottbus gar nahezu 200 Kilometer entfernt. Der Zuschauerschnitt im Erzgebirgsstadion von knapp 10.000 ist für sich genommen erst einmal durchschnittlich, vor dem Hintergrund, dass lediglich 18.000 Menschen in Aue leben, wird er sensationell.

 

Sogar satte 15.000 Mann hielten am 30. April 2010 den Atem an, als Rechtsverteidiger Pierre Le Beau nach 85 Minuten mit der Thermik des Frühlings emporstieg und eine Ecke von Skerdilaid Curri zum 2:1-Siegtreffer in die Maschen des Braunschweiger Tores wuchtete. Der Jubel im ausverkauften Rund ließ die Flöze und Schächte der Minen des Erzgebirges erzittern, denn es war der Treffer zum Aufstieg in die 2. Bundesliga, wo der FCE unter der Regie von Gerd Schädlich bereits von 2003 bis 2008 gespielt hatte. Ein Großteil des Personals, mit dem der aktuelle Übungsleiter Rico Schmitt bis auf Platz vier des aktuellen Zweitligaklassements stürmte, war - wie Le Beau und Curri - schon in Liga Drei für die Veilchen tätig, und das ist vielleicht das Charmanteste an der Erfolgsgeschichte von Erzgebirge: Während Topscorer Eric Agyemang trotz seiner zwölf Saisontreffer in der 3. Liga blieb und zu Wacker Burghausen wechselte, nahm man unverdrossen die Heimstärke mit, holte mit Enrico Kern einen routinierten Ersatz für die Sturmspitze - und ließ ansonsten ziemlich viel unverändert. Seine Stärke bezieht der FCE aus einer Eingespieltheit und Kontinuität, wie man sie selten sieht. Der Strafraum von Erzgebirge ist wie der Gipfel eines Achttausenders: Je näher man ihm kommt, desto weniger Luft hat man zum Atmen. Vor Keeper Martin Männel verschiebt mit ungemeiner Zuverlässigkeit eine Abwehrreihe, die sich seit bald zwei Jahren in nahezu unveränderter Formation kennenlernen und ineinanderfügen konnte. Neben Le Beau zählen mit René Klingbeil, Thomas Paulus und Tomas Kos drei Bundesligaveteranen dazu, Adli Lachheb kam indes vor der Saison vom Regionalligisten Hallescher FC und erspielte sich auf Anhieb einen Stammplatz. Im Verbund mit dieser Viererkette macht das Mittelfeld, in dem jeder Akteur in ein zusätzliches Paar Lungenflügel atmen zu scheint, den Raum unerträglich dicht. Die Laufwege und das nahtlose Übergeben zwischen den Mannschaftsteilen wirken mantraartig verinnerlicht, nur selten unterlaufen Schmitts Personal kapitale individuelle Fehler. Geht die Mannschaft erst einmal in Führung, beherrscht sie es wie kaum eine zweite, die Tresortür mit sattem Klang ins Schloss zu werfen und den Schlüssel zu verstecken. Dann braucht es schon überragende individuelle Qualität, wie sie dem FC Augsburg zu eigen ist, der als einziges Team das Kunststück vollbrachte, einen Rückstand gegen Aue zu drehen.

 

Wohin die märchenhafte Reise am Ende geht, ist bei derzeitig vier Punkten Rückstand auf den Relegationsrang noch nicht abzusehen. Rico Schmitt stritt nach dem Remis gegen Union Berlin Anfang März jegliche Ambitionen in Richtung Aufstieg ab und freute sich über einen Zähler zum Ligaverbleib: "Die anderen haben den Druck, wir wollen nur die Klasse halten." Zuletzt formulierte er das Ziel, sich "in der 2. Liga wieder auf Dauer zu stabilisieren." Die Planungen für die sportliche Zukunft laufen im Verein auf Hochtouren, mit einer Vereinigung dreier Sparkassen im Erzgebirge - eine weitere auffällige Parallele zur Düsseldorfer Fortuna - konnte kürzlich ein neuer Hauptsponsor präsentiert werden, der auch die Namensrechte am Stadion übernimmt. Mit Hilfe dieser langfristig,  bis 2020 nämlich angelegten Partnerschaft planen die "Veilchen", ihre Restverbindlichkeiten abzubauen und zum Ablauf der Spielzeit 2011/2012 schuldenfrei zu sein. Vor einigen Tagen setzte dann noch Rico Schmitt seine Unterschrift unter einen neuen Kontrakt. Der gilt übrigens auch für die Bundesliga.

bundesliga.de

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