Saisonrückblick, Teil III: Taken by a stranger
Wie Stahlrohr, Gaze und Rindenmulch zu einem uneinnehmbaren Palast verschmolzen
Der dritte Teil des Fortuna-Saisonrückblicks richtet den Scheinwerfer noch einmal auf jene Bühne, die am heutigen Tage statt 20.000 Fußballfans bereits wieder Baggern und Bauarbeitern gehört. Der Rückbau der airberlin world, des einzigartigen mobilen Ausweichstadions für das Team von Norbert Meier, ist nur zwei Wochen nach dem Abpfiff des letzten Heimspiels schon beträchtlich fortgeschritten. Was machen Menschen, wenn sie eine Zeitspanne von fünf Monaten zu ihrer freien Verfügung haben? Ungefähr solche Dinge: Auf ausgedehnte Weltreisen gehen, Frisurexperimente mit ungewissem Ausgang durchführen, eine Fortbildung besuchen, die eigene Hochzeit planen. Oder sie bauen ein voll funktionstüchtiges Fußballstadion für 20.000 Menschen auf, gewinnen drei Mal darin und zerlegen es dann wieder. Klingt unmöglich? Ach was. Eigentlich war es ganz einfach.
Man nahm sich ja beinahe ein wenig bescheiden aus im Vergleich zu der gewaltigen Elektronik- und Materialschlacht, die der Eurovision Song Contest zeitgleich in der ESPRIT arena schlug. 60 Kilometer Stahlrohr, 12.000 Quadratmeter Gazestoff und ungezählte Tonnen Rindenmulch, größtenteils analoger Baustoff also - viel mehr Ingredienzien brauchten die Präzisionsliebhaber der Schweizer Firma Nüssli eigentlich gar nicht, um binnen fünfzig Arbeitstagen ein Sterne-Restaurant für den Düsseldorfer Fußball-Gourmet zu eröffnen. Das Tempo, mit dem die Trägerkonstruktionen emporschossen, die Sitzschalen darüberwuchsen wie Efeu und die Dachträger angelandet wurden - es mit atemberaubend zu bezeichnen, wäre noch untertrieben gewesen. Mitunter konnte der neugierige Zaungast täglich Neuigkeiten am Rohbau entdecken. Ehe man sich versah, war der neugeborenen Sportstätte auch noch ein rot-weißes Taufkleidchen auf den Leib geschneidert, ein prägnanter Name beschlossen und ein Bettchen aus Rindenmulch gefertigt worden. Es konnte also losgehen.
Schon den kleinen, aber feinen Appetitanreger, mit dem die deutsche U 17-Nationalmannschaft den Gaumen dann vorab kitzelte, wollten sich 6.000 Zuschauer nicht entgehen lassen. Ein sauber ausgelöstes 2:0-Filetstück zur Einweihungsfeier gegen die Ukraine, das ging auch Chefcoach Norbert Meier gut runter, das machte Lust auf mehr. Die Atmosphäre bei der Partie der UEFA-Eliterunde verhieß allerhand, und die Eignung des Stahlrohrpalastes, eine ohnehin schon gute Stimmung noch resonant zu verstärken, wurde bereits beim Füllstand von einem Drittel eindrucksvoll nachgewiesen - oder um es mit Meiers Worten zusammenzufassen: "Ich hab‚ zwischenzeitlich gedacht, hier fährt eine U-Bahn durch."
Eine lang und länger werdende Woche Geduld war noch gefragt. Dann durften elf rot-weiß livrierte Spitzenköche ans Werk - und wie in einem guten Restaurant üblich, multiplizierte die Zeit der Vorfreude den Genuss noch. Die Fortuna servierte ein Drei-Gänge-Menü, das auf der Zunge zerging.
Zur Vorspeise beehrte der Gast vom 1. FC Union Berlin die Düsseldorfer, im Gepäck das zweifelhafte Vorhaben, dem freundlichen Gastgeber wenig charmant in die Suppe zu spucken. Genug Schärfe brachten die "Eisernen" aus Köpenick gleich selber mit, insgesamt sechs Verwarnungen sollten als Souvenir zurück in die Bundeshauptstadt reisen. Einzig, eine Punktebeilage wurde nicht dazu gereicht. Sascha Rösler, Andreas Lambertz und Ken Ilsø schenkten der Elf von Uwe Neuhaus zur Freude des Anhangs vielmehr reichlich roten und weißen Wein ein.
Der Hauptgang ließ sich indes zunächst ein wenig zäh an. Die widerspenstigen Bielefelder Arminen knackte man nur unter Einsatz des etwas rustikaleren Bestecks. Vor allem zum Ende hin mundete das 2:0 nach erneuten Volltreffern von Rösler und Lambertz dann allerdings doch gewohnt überzeugend. Bei Biergartenwetter gab sich vor allem die selige Südtribüne den Gesangsfreuden hin.
Noch einmal üppig aufgetischt wurde fürs Dessert. Alemannia Aachen nahm Platz und spendierte gleich einmal großmütig zwei Strafstöße. Einen davon nutzte Jens Langeneke und krönte sich zum mannschaftsinternen Schützenkönig. Den anderen überließ er gönnerhaft Sascha Rösler, der damit als erfolgreichster Torjäger der airberlin world Geschichte schreiben durfte. Das 2:1 durch Stehle bedeutete nicht mehr als einen kleinen Klecks auf der ansonsten blütenreinen Tischdecke, denn Maximilian Beister war es noch vorbehalten, per Traumtor das Sahnehäubchen mit Wunderkerze obenauf zu drapieren. Der Tropfen bittersüßer Note blieb ebenfalls nicht aus - Marco Christ und Patrick Zoundi bestritten ihre letzten Minuten im Fortuna-Dress und erhielten ihren gebührend warmen Abschied.
Noch am gleichen Abend schloss der Ausweichpalast seine Pforten für immer - und bei nicht wenigen Besuchern dürfte beim Verlassen des Arena-Sportparks leise Wehmut aufgekommen sein. Angesichts dessen, dass just in diesem Moment das letzte von drei außergewöhnlichen und einzigartigen Stadionerlebnissen zu Ende gegangen war, nur allzu menschlich.