06.04.2022 | Verein

Fortuna trauert um Gerd Zimmermann

Der Mann, der einen Scheitel schießen konnte

Gerd Zimmermann, „Zimbo“ oder „Zimmi“ genannt, ist tot. Nach langer, schwerer Krankheit verstarb der ehemalige Ausnahmespieler der Fortuna im Alter von nur 72 Jahren in der Nähe seines Geburtstortes Jüchen.

Was ihn zum Ausnahmespieler machte? Nun, wenn jemand auch Jahrzehnte nach Beendigung einer Karriere im kollektiven Gedächtnis haften geblieben ist und selbst Jüngere bei Freistößen für Fortuna seinen Namen fast reflexartig ausriefen, dann hat eben dieser Gerd Zimmermann das Zeug zu einer echten Legende – der sich diesen Ruf auch redlich verdient hatte. Denn mit seiner Schusskraft und Zielsicherheit galt er in seiner aktiven Zeit als unnachahmlich und wurde so der erste wahre „Zimbo“ der Fortuna. Erblickt hatte Zimmermann das Licht der Welt am 26. September 1949 in Jüchen, wo er in seinen Anfängen im Ortsteil Hochneukirch beim VfB 08 spielte. Darauf verschlug es ihn ins benachbarte Mönchengladbach zur großen Borussia, wo er in zwei Spielzeiten seine ersten Profi-Erfahrungen machte. In seiner typischen Bescheidenheit meinte er: „Ich war allerdings neben Günter Netzer und Berti Vogts eher ein Ergänzungsspieler.“ Trotzdem reichte es, den ersten Titel mitzunehmen - und offiziell mit 20 Lenzen Deutscher Meister zu werden.

Doch der Grundstein war gelegt und in den folgenden zehn Jahren bestimmte Fortuna sein Leben. Zunächst vier Jahre lang der SC in der südlich gelegenen Domstadt, dann in Flingern, wohin er für die seinerzeit rekordverdächtige Transfersumme von 800.000 DM wechselte. Zimmermann stellte trocken fest: „Für einen Defensivspieler wurde bis dahin noch nie eine derart hohe Ablöse bezahlt.“ Doch seine Verpflichtung sollte sich als goldrichtige Entscheidung entpuppen.

Weniger Verteidiger, mehr Vorstopper
Denn der Begriff „Verteidiger“ für den damals 24-Jährigen war eigentlich irreführend. Vielmehr fungierte Zimmermann im seinerzeit gängigen 4-3-3-System als „Vorstopper“. Diese Stellenbeschreibung ermöglichte ihm, offensivere Qualitäten zu entwickeln. Die Abwehr ordnen und gleichzeitig nach vorne agieren – so erzielte er in 166 Ligapartien für die Fortuna nicht weniger als 40 Tore. In 25 DFB-Pokalspielen traf er sechsmal. Und viele davon waren legendär und machten ihn zum Publikumsliebling. Klaus Allofs, selbst Fortune mit Legendenstatus und heute Vorstand des Vereins, geriet einmal ins Schwärmen, als er von einem Spiel beim Karlsruher SC berichtete: „Der Ball war ins Mittelfeld zurückgeschlagen worden und hatte erheblichen Effet. Ich dachte, Gerd spielt ihn zu mir. Doch der haute aus bestimmt 35 Metern einfach drauf und traf. So etwas hatte ich vorher noch nicht erlebt.“

Zuvor hatte sich der damalige Trainer Heinz Lucas vehement für Zimmermanns Transfer eingesetzt. Und beide verstanden sich von Anfang an bestens: „Heinz Lucas war einer der Besten seiner Zeit. Er hat nicht nur mir geholfen, sondern die Grundlage für die erfolgreichen Jahre, die dann auch nach seinem Weggang folgten, gelegt.“ Doch auch Dietrich Weise galt stets Zimmermanns Verehrung, bis schließlich Dieter Tippenhauer „die Erfolge erntete, für die seine Vorgänger den Weg geebnet hatten.“

Mit seinen 1,85 Meter Körperlänge und dem sehr athletischen Körper war Zimmermann, der außerdem enorm kopfballstark war, gefürchtet für seine so genannten „Flatterbälle“. Das Leder konnte dabei bis zu rekordverdächtige 144 km/h schnell werden und gleichzeitig einen starken Effet haben. Nationaltorhüter Rudi Kargus durfte hiermit einmal Erfahrung machen, als er einem Ball von „Zimbo“ hinterherhechtete, um mitsamt Spielgerät in den Maschen zu landen. Zimmermann erzielte in seiner erfolgreichsten Spielzeit, 1978/1979, insgesamt 13 Treffer.

Gute Nehmerqualitäten – bis zum Finale in Basel
Seine Gegner versuchten, ihn mit allen Mitteln am Torschuss zu hindern. Viele Blessuren und auch ernsthafte Verletzungen waren die Folge. Doch dadurch ließ sich der zweifache Familienvater und Liebhaber schneller Autos nur mäßig beirren. Mit guter Kondition, großer Konzentration, Umsicht und Spielwitz war er ein Teamplayer, beliebt bei den Fans und stets zu Späßen aufgelegt. Einzig schlechte Spiele oder gar Niederlagen konnten ihm die Laune verhageln: „Was halfen denn noch so schöne Tore von mir, wenn wir als Mannschaft verloren hatten?“ Auch wenn zu seiner Zeit bei Fortuna etliche Akteure auf dem Platz standen, die herausragende Spiele absolvierten: „Zimbo“ blieb immer zurückhaltend und betrachtete sich immer als Teil des Ganzen.

Trotz mehrerer Einsätze im Deutschen U23-Nationalteam: Der Durchbruch in der A-Nationalmannschaft gelang ihm nicht. Damit teilte er das Schicksal seines Mannschaftskameraden Gerd Zewe. Entschied sich bei Letzterem Nationaltrainer Helmut Schön für Franz Beckenbauer, erhielt auf Zimmermanns Position „Katsche“ Schwarzenbeck den Vorzug. Das internationale Parkett blieb dem gelernten Fernmeldetechniker dennoch nicht ganz verwehrt. Mit Fortuna bestritt er 20 Begegnungen im UEFA-Pokal (heute Europa League) sowie im Pokal der Pokalsieger. Wobei er auch hier noch vier Treffer erzielte. Beim Europapokal-Finale in Basel war er ebenso gesetzt. Doch was der erfolgreichste Tag in der Vereinsgeschichte der Flingeraner hätte werden können, endete mit einer dramatischen Niederlage für Verein und Spieler zugleich. „Scharfschütze“ Zimmermann, der den gefährlichen österreichischen Mittelstürmer Hans Krankl gut unter Kontrolle halten konnte, solange er spielte, erlebte den Schluss der Partie von der Auswechselbank aus. Denn in der 81. Minute war er rüde gefoult worden und trug einen Kreuzbandriss und Meniskusschaden davon. Dies bedeutete, ebenso wie bei Dieter Brei, sein faktisches Karriereende.

Durch diese lange Ausfallzeit fand die neue Spielzeit praktisch ohne den Abwehrhünen statt. Hinzu kam, dass Otto Rehhagel inzwischen Tippenhauer als Chef an der Seitenlinie beerbt hatte. Und Zimmermann hatte zu diesem, wie er es diplomatisch auszudrücken wusste, ein eher gespanntes Verhältnis. „Nachdem ich nach langer Zeit endlich wieder spielen konnte und dafür auch noch gute Kritiken erhalten hatte, wollte mich Rehhagel aus dem Kader streichen. Begründung: Ich würde der Mannschaft nicht guttun.“ Es folgte eine Aussprache mit Trainer und Präsidium, die in einem Eklat gipfelte und zur Suspendierung Zimmermanns führte.

Lieber USA als Rehhagel
In einer, wie er sagte, „Nacht-und-Nebel-Aktion“ verließ „Zimbo“ die Fortuna und suchte sein Glück in der damals aufstrebenden amerikanischen Soccer-League bei den Houston Hurricans. Bald darauf war Calgary die nächste Station, doch 1983 kehrte der Rheinländer in die Heimat zurück und spielte bei Union Solingen. Aufgrund finanzieller Probleme der Bergischen ging er letztendlich dahin zurück, wo er acht Jahre zuvor hergekommen war – zur Fortuna aus der südlich gelegenen Domstadt.

Aus seiner Verbundenheit mit der Düsseldorfer Fortuna, wo er seine erfolgreichste Zeit erlebt hatte, machte er jedoch nie einen Hehl. „Ich kam ja eher aus der Nähe von Düsseldorf als aus Köln.“ Herausragende Spiele? Davon hat er jede Menge erlebt, sagte er, und erinnerte sich auch an das 7:1 gegen den FC Bayern München im Dezember 1978, als er beim Stand von 4:1 an den Elfmeterpunkt trat und dachte: „Jetzt ziehe ich dem Sepp Maier einen Scheitel.“ Die Frisur hielt zwar einigermaßen, aber der Weltmeister-Torwart von 1974 nicht den Ball, der hinter ihm im Netz zappelte.

Es sei der familiäre Umgang bei Fortuna, der Spaß abseits des Spielfeldes, der großartige Zusammenhalt in der Mannschaft gewesen, der zum Erfolg beitrug. Der stieg jedoch niemandem zu Kopf, und gerade Zimmermann wurde von den Fans geliebt, weil ihm der Ruf des ehrlichen Arbeiters vorauseilte, und der einmal sagte, er schaue nicht aufs Geld, „sondern auf meinen Verein, für den es jedem eine Ehre sein sollte, für ihn spielen zu dürfen.“

Das Herz von „Zimbo“ schlägt für Fortuna Düsseldorf
Indirekt brachte er es sogar zur Werbe-Ikone, denn irgendwann in den 1970ern gab es „Zimbo“, den Löwen als Stofftier, der zeitweise bei jedem Spiel im Stadion Platz nahm und der Pate für Spielankündigungsplakate stand, die bis heute Kultstatus haben.

Woher aber kam seine unglaubliche Schussstärke? Die hatte er schon in seiner Jugendzeit besonders zu trainieren versucht. Dabei seien Schüsse mit links immer etwas härter gewesen, dafür die mit dem rechten Fuß präziser. Dies machte ihn für seine Gegenspieler noch unberechenbarer und ihn selbst umso erfolgreicher.

Dass er Düsseldorf überhaupt verlassen hatte, bewegte ihn auch Jahrzehnte später und schrieb er ausschließlich einem Mann zu: „Das war der Rehhagel.“ Und ausgerechnet der wurde, aber da war „Zimbo“ bereits weit weg, bei den Rot-Weißen wegen Erfolglosigkeit entlassen: „Das hat verdammt weh getan, denn Fortuna lag und liegt mir doch so sehr am Herzen.“

Umso versöhnlicher war es, dass Gerd Zimmermann seinen Frieden mit der Fortuna, der aus Düsseldorf, geschlossen hatte und oftmals in der Arena anzutreffen war. Wobei er zugab, ein wenig neidisch auf Spieler nach seiner Zeit gewesen zu sein: „Aber nicht wegen des Geldes, sondern wegen der herausragenden Stimmung, die die Fans machen, auch wenn es mal nicht so gut läuft.“

Fortuna Düsseldorf verneigt sich vor einem ganz großen Sportsmann, denn sie verliert in Gerd Zimmermann eine herausragende Persönlichkeit und wird ihm ein allzeit ehrendes Andenken bewahren. Die Gedanken aller Fortunen sind bei dem Verstorbenen, das Mitgefühl gilt seiner Frau Lydia, den Angehörigen und allen, die ihn kannten und schätzten.

bundesliga.de

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