Der „andere“ Monat des Dr.med. Ulf Blecker
Mannschaftsarzt der Fortuna pendelte zwischen Spiez und Wimbledon
Dr. Ulf Blecker gehört seit 2008 dem seinerzeit neu gebildeten Team der medizinischen Abteilung von Fortuna an. Der gebürtige Siegerländer gilt seit Jahrzehnten als profilierter Arzt im Fachbereich Orthopädie. Er liebt seinen Beruf und auch den Sport und ist dabei eine durch und durch außergewöhnliche Persönlichkeit geblieben.
Blecker beschränkt sich nicht ausschließlich auf seinen Job. Vielmehr weiß der hünenhaft wirkende 50-Jährige durch persönliche Gespräche auf seine Patienten einzugehen. Eine Eigenschaft, die man heutzutage viel zu selten findet und ihm nicht nur eine fachlich, sondern auch menschlich große Reputation einbringt. Dies verdeutlicht auch das folgende Interview.
Herr Dr. Blecker, der Juli dürfte richtig hektisch für Sie gewesen sein, denn sie waren zum einen für die Fortuna in der Schweiz im Einsatz und auch in Wimbledon beim legendären Tennisturnier tätig…
Ich will nicht übertreiben, aber ein wenig ‚anders‘ ist es schon zugegangen. Es hatte etwas von einer Wanderung zwischen den Welten, aber es war spannend und sehr bereichernd zugleich.
Erklären Sie doch bitte, warum es ‚anders‘ war als sonst…
Im Vorfeld hatten wir bereits geklärt, dass ich möglicherweise beide Termine, also Spiez als auch London wahrnehmen würde. In der ersten Woche sollte ich beim Turnier in Wimbledon die ärztliche Betreuung von Angelique Kerber und Sabine Lisicki übernehmen, um mich dann in der zweiten Woche um Fortuna zu kümmern. Nachdem sich Sabine in der dritten Runde gegen die Australierin Samantha Stosur durchgesetzt hatte, wollte ich wie geplant abreisen. Sabine aber sagte: ‚Schade, dann verpasst Du leider, wie ich Serena Williams schlage.‘ Was dann kam, ist ja bekannt.“
Durchaus, für viele überraschend, gewann Lisicki gegen die Weltranglisten-Erste und zog ins Viertelfinale ein…
Genau. Am folgenden Tag schlug sie Kaia Kanepi aus Estland zweimal mit 6:3, und es wartete das Halbfinale. Ich war noch in Düsseldorf und habe sehr stark mitgebfiebert. Nach ihrem Sieg schrieb sie mir sofort: ‚Du MUSST kommen!‘
Sie setzte noch eins drauf und gewann gegen die Polin Agnieszka Radwanska...
Und stand im Finale. Ich war gerade erst in der Schweiz angekommen und konnte gleich wieder meine Koffer packen - denn beim Endspiel wollte, nein, musste ich dabei sein. In weiser Voraussicht hatte ich nach ihrem Sieg gegen Williams einen Flug nach London gebucht. Es war dann ein ziemlich abenteuerlicher Trip, denn ich brauchte fast neun Stunden, um vom Fortuna-Trainingslager nach England zu kommen.
Seit wann kennen Sie Sabine Lisicki?
Seit sie als Jugendspielerin in Troisdorf gespielt hat. Unser Kontakt ist über all die Jahre nie abgebrochen und wir haben uns immer gefreut, wenn wir uns gesehen haben - auch nach ihrem Umzug nach Berlin. Dies wurde im Laufe der Zeit natürlich dadurch begünstigt, dass ich Kaderarzt beim Deutschen Tennisbund und Mannschaftsarzt beim Federations-Cup-Team der deutschen Damennationalmannschaft bin, auch bei Olympia. Wir stehen über das ganze Jahr in guter Verbindung, nicht selten wöchentlich.
Wie haben Sie in all den Jahren Sabine Lisicki erlebt?
Sie hat sich unglaublich positiv entwickelt und ist psychisch sehr stark. Damit gleicht sie meines Erachtens sehr viel aus. Ihr Können hat sie schon sehr früh unter Beweis gestellt, als sie Lindsay Davenport bei ihrem Debüt als 18-Jährige nach 14 Jahren die erste Niederlage beim Fed Cup zufügte.
Ist Ihr zusätzliches Engagement im Sport nicht eine Strapaze neben dem beruflichen Alltag? Schließlich haben Sie eine florierende Praxis…
Ich habe dies nie als Belastung empfunden. Ich betreue seit 23 Jahren die DEG, neun Jahre Spieler des DTB und seit fünf Jahren die Fortuna. Die Betreuung eines Teams oder eines Sportlers ist eine wunderbare Abwechslung. Es erfüllt mich mit guten Emotionen - wobei ich damit durchaus auch traurige meine -, und gibt mir eine andere Sichtweise auf die Dinge, und holt mich gleichzeitig heraus aus der Routine von OP-Saal und Praxis.
Wo liegt der Unterschied zwischen der Betreuung von Spielern der Fortuna und im Tennis?
Die Behandlung von Individualsportlern ist weniger auf physischem als auf psychologischem Gebiet sehr wichtig. Durch Drucksituationen entsteht nicht selten ein empfindliches Defizit in der Leistung, was wiederum ein moralisches Tief nach sich ziehen kann. Sabine hatte nach dem verlorenen Finale in Wimbledon selbst gesagt, dass keine körperlichen Beschwerden vorlagen, sie alles gegeben habe, es aber einfach nicht funktionieren wollte. Daran kann man eine gewisse Blockade ableiten und wie wichtig die emotionale und psychische Betreuung ist. Das ist übrigens bei Golfern nicht anders.
Aber als Sportler geht man doch auf den Platz und ist vollkommen auf sich allein gestellt…
Das ist eben nicht so! Man darf es sich beispielsweise in Wimbledon so vorstellen: In unmittelbarer Nähe des Platzes steht im Center-Court ein viereckiger Kasten. Dort sitzen der Tennistrainer, der Physiotherapeut, der Mannschaftsarzt - also insgesamt sechs bis acht Vertraute. Als Spieler sieht man nur die Köpfe dieser Personen. Man kann sich also vollkommen auf das Spiel konzentrieren, aber sucht gleichzeitig nach jedem Ball den Blickkontakt zur Box. Das ist wie ein Ritual. Die Sportler benötigen diese Interaktion mit der Box. Sie erwarten, dass man das Spiel begleitet - mit Gesten, mit Mimik, aufmunternd und applaudierend. Das baut auf und hilft über mentale Klippen hinweg.
Ist das beim Fußball so anders? Dafür gibt es schließlich doch die Coaching-Zone für die Trainer…
Es ist nicht nur ein ganz anderes Umfeld, sondern auch die Art der Interaktion. Wenn ein Fußballspiel läuft, ist die Möglichkeit, entscheidend einzugreifen, eher überschaubar. Vor und nach dem Spiel ist wichtig und wir haben nicht umsonst mit Axel Zehle einen Mentalcoach, der uns gut begleitet. Außerdem steht schon ab der frühesten Jugend beim Fußball der Teamgedanke im Vordergrund. Sicher ist die mentale Betreuung wichtig, auch einzelne Stellschrauben zu stellen, aber das Wichtigste ist und bleibt das Kollektiv. Beim Tennis ist man hingegen - zumindest formal - Einzelkämpfer.
Wie haben Sie das Trainingslager der Fortuna erlebt?
Als deutlich spürbaren Kontrapunkt. Einerseits Wimbledon mit einer hektischen, emotionalen und positiv aufgeputschten Stimmung. Der Moloch London mit der „Crowd“ von Wimbledon - eine ganz besondere Atmosphäre. Andererseits der Thuner See, die Abgeschiedenheit und Ruhe, die spürbare, fast hörbare Konzentration des Teams. Spiez ist ein wunderbar denkwürdiger Ort. Und im Nachhinein muss ich sagen, dass dies das schönste Trainingslager war, das ich je erlebt habe. Dieser „Geist von Spiez“, dieser sagenumwobene Spirit aus der Zeit der 1954er-Weltmeister, ist tatsächlich immer noch extrem zu spüren. Wer jemals als Fan oder Mitarbeiter eines Fußballvereins diese Zeit erlebt oder darüber gelesen oder den Film gesehen hat, der kann diese Atmosphäre nachvollziehen. Wenn man das verinnerlicht hat, ist man den Tränen sehr nahe.
Haben Sie überhaupt noch Zeit für andere Dinge?
Ich nutze meine freie Zeit sinnvoll und nehme mir gewisse Auszeiten. Manchmal fehlen für die Entspannung schon mal die Wochenenden. Aber meine Zeit mit der Mannschaft bei der Fortuna empfinde ich als alternative Regeneration, die mir viel Kraft gibt für meine Arbeit als Arzt.
Und am Donnerstag waren Sie wieder ganz normal in der Praxis?
Ganz normal. Nur mussten wir durch meinen etwas längeren Ausfall an diesem Tag bereits um 6 Uhr anfangen. Es wurde dann auch ziemlich heftig, aber ich habe es mir so ausgesucht und es macht mir immer noch riesige Freude.
Herr Dr. Blecker, wir danken Ihnen für das Gespräch und hoffen, dass Sie der Fortuna noch lange erhalten bleiben und Ihren Patienten weiterhin so viel Freude machen.