10.06.2011 | 1. Mannschaft

Die Neuen der Liga, Teil 4: Eintracht Braunschweig

Kräuterlikör, Sensationstransfers - und die legendäre Schlacht von Braunschweig

Es war eines dieser Fußballspiele, nach denen Experten gerne zu Protokoll geben, dass wirklich alles drin gewesen sei. Am 10. Mai 2009 trafen Eintracht Braunschweig und Fortuna Düsseldorf am 35. Spieltag der Dritten Liga aufeinander. In einer denkwürdigen Begegnung schenkten sich beide Teams nichts das Geringste, es entwickelte sich ein Wechselspiel, das seinesgleichen sucht. Der Zwischenstand wand sich über die gesamte Spielzeit hinweg wie eine Schlange. Am Ende blickten 14.500 Zuschauer ungläubig auf die Anzeigetafel des Stadions an der Hamburger Straße. 5:5 leuchtete es von dort herab. Die Geschichte in Zahlen: Fünf Tore auf jeder Seite, vier Strafstöße, drei davon gegen die Fortuna, zwei hielt Melka - und eine Minute vor Abpfiff fiel der Ausgleich für die Braunschweiger. Mehr als zwei Jahre nach dem Spiel für die Ewigkeit kommt es in der 2. Bundesliga nun zum Wiedersehen der beiden Traditionsvereine.

Bereits sechs Spieltage vor Saisonende brachte der Turn- und Sportverein aus der zweitgrößten Stadt Niedersachsens seine Rückkehr in die Zweite Liga unter Dach und Fach und lief letztlich mit zwanzig Zählern Vorsprung auf den ersten Nichtaufstiegsrang ein. Besonderes Faustpfand war - neben der sportlichen Substanz, die Trainer Torsten Lieberknecht in den vergangenen Jahren behutsam zusammengestellt hat - wieder einmal die beeindruckende Heimstärke vor der traditionell tollen Kulisse in Gelb und Blau. 16 Siege aus 19 Spielen - das erinnert doch glatt an die Düsseldorfer Fortuna, die in den eigenen vier Wänden bekanntlich ähnlich aufzutrumpfen vermag. Eine Verpflichtung aus der Vergangenheit gewissermaßen, denn ein Blick in die Geschichte der beiden im Jahr 1895 gegründeten Traditionsvereine verrät, dass in ihren 41 Aufeinandertreffen nur sechs Mal das Auswärtsteam die Oberhand behielt.

 

Wie sich Eintracht Braunschweig nun drei Jahre nach dem letzten Abstieg aus Liga Zwei just dort schlagen wird, das dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wie der Abgang von Karim Bellarabi aufgefangen werden kann. Bayer Leverkusen sicherte sich die Dienste des 20 Jahre alten flinken Angreifers, der in der abgelaufenen Spielzeit die Außenverteidiger der Ligakonkurrenz in Angst und Schrecken versetzte. Acht eigene Treffer sowie fünfzehn direkte Hilfestellungen zu Toren der Mitspieler gelangen Bellarabi, der damit an über einem Viertel aller Braunschweiger Erfolge direkt beteiligt war. Das unberechenbare Sturmduo, gebildet von Bundesligaveteran Dennis Kruppke und Dominick Kumbela, profitierte auch von ihm. Insgesamt 35 Mal sagten die beiden artig Dankeschön und legten zusammen im Gegenzug gleich noch 19 Treffer für die Kameraden auf. Es wird von enormer Wichtigkeit für die Eintracht sein, ihre Offensivwucht auch eine Klasse höher nicht einzubüßen. Die notwendige Routine bringen Klassemänner wie Damir Vrancic, Abwehrfixstern Matthias Henn oder eben auch Kruppke sicherlich mit.

 

Es sind dies natürlich, auch angesichts aller Aufstiegseuphorien, andere Zeiten als noch in den 60er und 70er Jahren. Wer in dieser Zeit aufwuchs, für den ist Eintracht Braunschweig auch heute noch ein Inbegriff von Bundesligafußball. Die Blau-Gelben waren dabei, als die Beletage 1963 aus der Taufe gehoben wurde, und feierten vier Jahre später gleich den ersten Titel. Nur Sekunden trennten die Braunschweiger im folgenden Europapokal der Landesmeister vom Einzug ins Halbfinale, ehe Juventus Turin per Elfmeter das Hinspielergebnis egalisierte und ein Wiederholungsspiel erzwang, das die Italiener dann in Bern knapp für sich entschieden. Wiederum vier Jahre darauf folgte gleich das schwärzeste Kapitel der Vereinsgeschichte, als publik wurde, dass mehrere Eintracht-Akteure - unter ihnen Kapitän und Nationalspieler Lothar Ulsaß - bis zum Hals in den Bundesliga-Bestechungsskandal verwickelt waren. Dem wenig später unvermeidlichen Abstieg folgte gegen Ende der Siebziger eine kurze Blüte unter Branko Zebec, und es ist beinahe zynisch, dass ausgerechnet in die Ägide des begnadeten, aber schwer alkoholkranken Weltklassetrainers ein Novum in der Bundesliga fallen sollte. Fortan prangte nämlich der unverkennbare Hirsch der Firma Jägermeister auf der Brust von Eintracht Braunschweig - die Trikotwerbung war erfunden. Ein ähnlicher PR-Coup gelang 1977 mit der damals sensationellen Verpflichtung eines Weltmeisters: Kein Geringerer als Paul Breitner wechselte von den "Königlichen" aus der Weltstadt Madrid ins beschauliche "Brunswiek". Eine Ära prägte er nicht mehr mit, vielmehr entwickelte sich der Turn- und Sportverein zu einer Art frühen Fahrstuhlmannschaft, die 1985 abermals den Weg ins Unterhaus nehmen musste und seither nicht mehr in die Eliteliga zurückzukehren vermochte. 2006/2007 stellte man gar einen zweifelhaften Rekord auf, als man innerhalb einer einzigen Saison nicht weniger als fünf Übungsleiter verschliss und am Ende doch in die Regionalliga abrutschte.

 

Umso mehr freut sich der Fußballfreund auf packende Braunschweiger Duelle mit rassiger Zweitligaatmosphäre gegen die zahlreichen Traditionsvereine, die 2011/2012 in dieser Spielklasse antreten. Es muss ja nicht gleich wieder ein 5:5 sein, wie damals im Mai 2009, bei einem dieser Spiele, in denen einfach alles drin ist.

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