Die Neuen der Liga, Teil 5: Dynamo Dresden
Die einstige DDR-Spitzenelf steckt im Umbruch - und muss dabei den Abgang ihrer beiden besten Torschützen verdauen
Lange Zeit schien es in der abgelaufenen Drittligasaison, als wolle sich niemand zu den frühzeitig qualifizierten Teams von Eintracht Braunschweig und Hansa Rostock in den Fahrstuhl nach oben gesellen. Die Offenbacher Kickers, die noch die Hinrunde dominiert hatten, stürzten ins Bodenlose, und weder Wehen Wiesbaden noch Rot-Weiß Erfurt hielten sich lange auf dem Relegationsrang 3. Dann machten es eben die Dresdner! Nach einer überschaubaren Hinserie sprinteten sie unwiderstehlich drei Runden vor Saisonende aus dem Windschatten noch in die Relegation und nutzten das Momentum des Augenblicks, um dort auch noch den VfL Osnabrück niederzuringen. Eine Spielklasse höher stehen die Elbflorentiner plötzlich aber ohne ihren ersten Sturm da.
Nach nur einer Saison in Sachsen wagt Sturmjuwel Alexander Esswein nun beim 1. FC Nürnberg einen neuen Anlauf in der Bundesliga. Unter Felix Magath war der vielfache Juniorennationalspieler in Wolfsburg hinter Dzeko und Grafite kaum zum Zuge gekommen - mit 17 Treffern in 31 Partien konnte er seine Tauglichkeit als Vollstrecker in Dresden allerdings eindrucksvoll unter Beweis stellen. Eine noch bessere Quote erlangte gar Dani Schahin. Die Winterleihgabe aus Fürth netzte satte neun Mal in zwölf Spielen. Nicht nur das so wichtige 3:2 in Offenbach am letzten Spieltag, sondern auch der entscheidende Treffer im Relegationsrückspiel an der Bremer Brücke in Osnabrück zählten dazu. Schahin kann sich in der Hauptstadt Sachsens nicht ganz zu Unrecht somit als "Aufstiegsheld" feiern lassen. Der Segen seiner Verpflichtung wurde damit postwendend zum Fluch: Natürlich blieben seine guten Leistungen in Franken nicht verborgen. Mike Büskens ließ es sich nicht nehmen, das Talent wieder zurück in den Ronhof zu beordern. In Timo Röttger verändert sich außerdem der treffsicherste Dresdner Mittelfeldakteur hin zu RB Leipzig - summa summarum erzielten alleine die drei zusammen 30 der 50 Torerfolge. Wie kann solch ein schmerzvoller sportlicher Aderlass kompensiert werden?
Fünf Neuzugänge konnte man an der Lennéstraße bislang vermelden. In Pavel Fort kommt von Absteiger Bielefeld dabei der dringend benötigte Hoffnungsträger für die Offensive. Der bundesligaerfahrene Mittelstürmer hatte im zurückliegenden Jahr mit den Folgen eines Kreuzbandrisses schwer zu kämpfen, hat allerdings sowohl in Bielefeld als auch zuvor in Tschechien bereits nachgewiesen, durchaus zu wissen, dass das Tor nicht an der Eckfahne steht. Martin Stoll soll derweil die Innenverteidigung weiter stärken, in Dennis Eilhoff kommt zudem ein prominenter Konkurrent für Torhüter Benjamin Kirsten, Sohn des einstigen Bundesliga-Schützenkönigs Ulf. Sein Name ist eine der wenigen Verbindungen, die Dynamo noch in die eigene Vergangenheit pflegt. Vorbei sind die Zeiten, in denen dubiose Unternehmer wie Rolf-Jürgen Otto windig wie ein Tag am Meer Geld verpulverten, das sie nicht besaßen und den Verein, der im letzten Bestehensjahr der DDR noch den Meistertitel feierte, bis Mitte der Neunziger in die Regionalliga herunterwirtschafteten. Mit Geschäftsführer Volker Oppitz, Sportdirektor Steffen Menze und Chefcoach Ralf Loose (zwischen 1987 und 1993 für die Fortuna am Ball) hält mittlerweile ein Triumvirat aus ehemaligen Profis die Zügel in der Hand. Das Rudolf-Harbig-Stadion mit seinen charakteristischen "Giraffenhälsen" wurde umfassend modernisiert und hört mittlerweile auf den Namen Glücksgas-Stadion - auch das bringt Geld zur Konsolidierung.
Mit professionellen Strukturen sollen die Fehler der letzten zwanzig Jahre ausgebügelt werden und dauerhaft Voraussetzungen für gutklassigen Fußball geschaffen werden. Mittel- und langfristig träumt die breite Fanbasis selbstverständlich wieder von den goldenen Zeiten der Siebziger- und Achtzigerjahre. Insgesamt acht DDR-Meistertitel und sieben Pokalsiege zieren den Kopf des Dynamo-Briefpapiers - und in einem Museum der deutschen Fußballgeschichte hätten die Gelb-Schwarzen glatt eine eigene Vernissage verdient. Insbesondere zwei deutsch-deutsche Europapokalduelle haben sich mit heißer Prägung ins kollektive Sportgedächtnis der Nation eingebrannt. 1973, Viertelfinale im Cup der Landesmeister, hat Dynamo - wenngleich mit lautstarker Unterstützung eines Heers durch die Stasi ausgewählter Schlachtenbummler - das hochfavorisierte Starensemble des FC Bayern zweimal gewaltig im Schwitzkasten und scheitert nach zwei epischen Dramen denkbar tragisch. Müller & Co. siegen mit Müh und Not 4:3 und 3:3, Wochen später wandert der Pokal an die Isar. Dreizehn Jahre später sieht Dresden nach einem 2:0-Heimerfolg und einer 3:1-Pausenführung in Uerdingen schon wie der sichere UEFA-Cup-Halbfinalist aus. Es kommt anders. In einem Jahrhundertspiel, das die 11FREUNDE fünfundzwanzig Jahre zum besten Fußballspiel der Geschichte küren, entgleitet den Elbstädtern die Partie wie ein glitschiger Fisch und endet mit 3:7 in einem Desaster. Drei Jahre später ist wieder ein West-Verein Endstation; im Halbfinale 1989 unterliegt man diesmal knapp dem VfB Stuttgart.
Wenige Monate darauf öffnen sich die Schlagbäume in Berlin. Die Spitzenspieler aus der Konkursmasse des DDR-Fußballs wandern in Scharen zu den reichen Bundesligaclubs ab - so auch tragende Dresdner Säulen wie Matthias Sammer und eben Ulf Kirsten. Dynamo startet zwar in der gesamtdeutschen Bundesliga, hält sich dort unter Aufbietung größter Kräfte sogar einige Jahre, bevor der DFB-Lizenzausschuss den Klub in die Regionalliga verbannt. Der Glanz der eigenen Vergangenheit, der so schnell vergangen war: Die SG Dynamo Dresden ist ihm mit dem aktuellen Aufstieg in die Zweite Liga zumindest wieder ein gutes Stück nähergerückt.