Diagnose: Auswärtsschwäche
Karsten Baumanns lila Launefußballer vom VfL Osnabrück
An der Bremer Brücke möchte man auch in der kommenden Saison Zweitligafußball sehen. Die dort beheimatete Mannschaft hat eindeutig das Zeug dazu - wäre da nicht die großmütige Zurückhaltung, die das mitunter zur launigen Gastfreundschaft neigende Ensemble von Karsten Baumann abseits der heimischen Osnatel-Arena übt. Die heimstarke Düsseldorfer Fortuna muss dennoch auf der Hut sein: Den einzigen Auswärtssieg fuhren die Lila-Weißen nämlich im Erzgebirge ein, wo sie den Auern deren gleichsam einzige Heimschlappe beibrachten.
Wem das Kino heutzutage zu seicht und das Varieté zu teuer geworden ist, dem sei hiermit wärmstens ans Herz gelegt, sich doch einen lila-weißen Schal zuzulegen und fortan dem VfL Osnabrück seine Gunst zu widmen! Beste Unterhaltung ist nämlich garantiert, wenn die Truppe von Karsten Baumann anrückt: Nicht weniger als 75 Mal rappelte es in dieser Spielzeit bei Begegnungen mit Beteiligung der Niedersachsen in den Gehäusen der Zweiten Liga - nur Energie Cottbus und der KSC boten noch mehr fürs Geld (aber schließlich schusterten sich diese beiden im Rahmen ihres "Tages der offenen Tür" beim 5:5 auch gegenseitig zehn Treffer für diese Statistik zu).
Der neutrale Zuschauer blickt also durchaus mit Wohlwollen aufs Feld. Karsten Baumann hingegen dürfte beim bisherigen Saisonverlauf wohl so manches Mal Unverständnis für seine Schutzbefohlenen gezeigt haben, präsentierte sich der VfL-Übungsleiter doch zu aktiven Zeiten als entschiedener Befürworter des körperbetonten Standardtanzes in der Defensive. 51 Verwarnungen nebst drei Platzverweisen in 261 Bundesligapartien für den 1. FC Köln und Borussia Dortmund untermauern dies eindrucksvoll.
42 Mal schlug es schon hinter Tino Berbig ein, das ist selbst für einen Aufsteiger viel Holz. Dass man trotzdem mit drei Punkten Vorsprung vor dem Relegationsrang auf Position 14 rangiert, ist der Tatsache zuzuschreiben, dass "Osna" selbst gern einschenkt. 33 Treffer, so viel wie kein zweites Team der unteren Hälfte des Tableaus, gelangen den Schützlingen von Baumann, der seit 2009 die sportlichen Geschicke in der Friedensstadt leitet und gleich ein Jahr später den Zweitligaaufstieg feiern durfte.
Damit war der 1899 gegründete Verein für Leibesübungen wieder dort hingekommen, wo er sich selbst aufgrund seiner langjährigen Profifußballtradition sieht. So wies schon Udo Lattek zu aktiven Zeiten in den Sechzigerjahren hier Torgefahr nach. Jimmy Hartwig und Erwin Kostedde standen ebenso unter Vertrag wie später der selbsternannte weiße Brasilianer Ansgar Brinkmann, Claus-Dieter Wollitz und Patrick Owomoyela. Damit der Klub seinen Ruf als Karrieresprungbrett aufpoliert, sich im Unterhaus konsolidiert und nicht - wie in den letzten zehn Jahren leider üblich - gleich wieder den Gang eine Klasse tiefer antritt, erteilte die Vereinsführung dem Chefcoach Prokura. Baumann blickte in seinen Notizblock und holte im Sommer mit Toptorschütze Nicky Adler, Mittelfeldspieler Kristoffer Andersen und dem zu Jugendzeiten hochgepriesenen Sebastian Tyrala drei Akteure, die sich sofort in den Stamm spielten, nur um im Winter abermals nachzubessern. Der Fürther Jan Mauersberger soll fortan - genau wie Kevin Schöneberg (Bielefeld) - die Gegentorflut eindämmen helfen und zeigte auf Anhieb gute Ansätze. Gleichfalls kam mit dem jungen Norweger Flemur Kastrati ein Mann für den Abschluss hinzu, der bestens mit der ohnehin funktionierenden Offensivachse Adler und Tyrala zu harmonieren verspricht und bereits dreimal einzunetzen verstand.
Personell ist man am Südrand Niedersachsens also durchaus zweitligareif besetzt und steht in der Heimtabelle auch auf einem gesicherten 10. Rang. Sorgen bereitet einzig die unerklärliche Hemmung, die das Team in fremden Umkleidekabinen befällt. Dass die verheerende Bilanz von ganzen fünf Auswärtspunkten von einer mentalen Blockade herrührt, legt der Blick auf den 20. Spieltag nahe. Doch just, als man bei den Heimkönigen in Aue antrat und am wenigsten zu verlieren hatte, gelang ein - wenngleich glücklicher - Erfolg, der auch noch mit dem Lieblingsergebnis der Hausherren, einem trockenen 1:0, erkämpft worden war. Sie können es also, die launischen Jungs von Karsten Baumann.
Vorsicht ist folglich geboten für die Fortuna, wenn der Traditionsverein aus Niedersachsen am kommenden Sonntag in die ESPRIT arena einläuft, um auf der zum neunten Heimsieg in Folge fest anvisierten rot-weißen Rekordfeier kräftig in die Partybowle zu spucken. Eventuelle Sentimentalitäten müssen dabei besonders zwei Akteure für neunzig Minuten hintenanstellen. F95-Vizekapitän Jens Langeneke streifte in der Saison 2003/04 33 Mal das lila Leibchen für Osnabrück über. Derweil erwarb VfL-Linksverteidiger Jan Tauer als gebürtiger Düsseldorfer seine fußballerischen Meriten zunächst beim FC Tannenhof und dem TSV Eller 04, ehe er bei seinem ersten Einsatz für Fortunas Senioren aus 30 Metern ein Gemälde von einem Schuss in den Winkel hängte. Willkommensgeschenke für den Rückkehrer wird die Elf von Norbert Meier im eigenen Interesse wohl nicht zu verteilen haben. Auch wenn das bedeutet, dass der VfL Osnabrück seiner Auswärtsbilanz dieses Mal keine kosmetische Operation verpassen kann - der Klassenerhalt ist für die Lila-Weißen allemal drin.