18.05.2011 | 1. Mannschaft

Saisonrückblick, Teil I: Als die Wand aus Lärm dem Wetter trotzte

Wie die Fortuna im nasskalten Regen von Osnabrück den Gordischen Knoten zerschlug

Ab heute blickt Fortuna Düsseldorf in einem kleinen Homepage-Spezial auf die abgelaufene Saison zurück, die emotionsreich wie selten zuvor verlief. Stellvertretend laufen noch einmal drei erinnerungswürdige Begegnungen im Spielfilm ab. Den Auftakt bildet der 3:2-Triumph an der Bremer Brücke in Osnabrück. Der selige Fritz Walter hätte seine helle Freude gehabt. Eisiger Wind peitscht an diesem Samstagmittag im Oktober dicke Tropfen durch die Norddeutsche Tiefebene, direkt in die Gesichter von Trainer, Spielern und Fans. Auch fast zweitausend mitgereiste Fortunen werden nass bis auf die Knochen - aber als Patrick Zoundi in der 3. Minute Feuer an die Lunte legt, ist das Schwarzpulver trocken geblieben. Nach seinem Tor zum 1:0 entfacht der explodierende Fanblock in Osnabrück eine Schubkraft, die die elf Akteure auf dem Platz zu einem denkwürdigen 3:2-Auswärtssieg trägt. Das vielleicht wichtigste Spiel der Saison - noch einmal zum Nacherleben.

Wenn Chefcoach Norbert Meier vor einem Fußballspiel aus dem Kabinentunnel tritt, wirkt er gewöhnlich wie menschgewordene Konzentration. Seine Gedanken umkreisen die vor ihm liegende Begegnung wie zehntausend Satelliten einen Planeten, und für ihn allein scheint in diesen Momenten das Wort "Fokussierung" in Umlauf gebracht worden zu sein.

 

An diesem Samstag tritt Chefcoach Norbert Meier aus dem Kabinentunnel der osnatel-Arena in die zugige Kälte. Er zieht den Reißverschluss seiner Jacke zu und die Schultern nach oben, doch was ihm plötzlich entgegenbrandet, reißt sogar den Düsseldorfer Trainer aus seiner Anspannung. "Norbert Meier! Norbert Meier!" skandiert eine Wand aus Lärm, und der Gemeinte hebt die Arme, klatscht genau sechs Mal in die Hände und reckt dann den Daumen in die Richtung, aus der das lautstarke Fanal kommt. Die Wechselwirkung ist unmissverständlich: Auch nach sieben Pflichtspielpleiten in Reihe stehen Anhang und Coach unverbrüchlich zusammen, gestützt noch von einem deutlichen Bekenntnis der Vereinsführung. Was folgt, ist ein neunzigminütiger Thriller mit Happy End, über den nach Saisonende fast jeder Düsseldorfer sagen wird, dass er in dieser unvergleichlich emotionalen Spielzeit die Wende zum Guten darstellte.

 

3. Minute: Jojo van den Bergh lässt den Ball auf halblinks zu Olli Fink prallen, der die Kugel sofort steil in Richtung Grundlinie losschickt. Die Düsseldorfer Nummer 21 nutzt ihre überlegene Traktion auf seifigem Geläuf, um Gegenspieler Konstantin Engel die Rücklichter zu zeigen. Van den Berghs Flanke rauscht mit Drive in die Gefahrenzone, in der Abwehrmann Lejan eigentlich goldrichtig steht, um die Kugel humorlos aus dem Stadion dreschen. Stattdessen wählt er den spielerischen Klärungsversuch, dessen Ausführung allzu schlampig gerät. Thomas Bröker fängt das Spielgerät halblinks im Sechzehner ab, geht einen Schritt, feuert, wird abgeblockt. Und doch: All das Glück, was der Fortuna in den Wochen zuvor durch die Hände rann, strömt in dieser Sekunde in den Osnabrücker Fünfmeterraum. Einen dreifachen chaotischen Richtungswechsel später liegt das Leder, wie vom Fußballgott persönlich deponiert, vor Pat Zoundi. Die Nummer 15 lässt sich nicht lange bitten, beamt den Ball unter die Latte und entfesselt damit im Gästeblock hinter dem Tor einen Orkan. 1:0!

 

8. Minute: Tyrala schickt einen Eckstoß von links auf eine scharfe Flugbahn, Engel hält am kurzen Fünfereck das Haupt hinein und lenkt den Ball aufs Tor. Michael Melka hat spekuliert und zwei Schritte weg von der Linie gewagt. Nun erkennt der Fortuna-Keeper die Gefahr und stemmt sich mit einem gewaltigen Hechtsprung wieder retour. Eine Zehntelsekunde später er liegt quer in die Luft und fischt das Ding Zentimeter vor der Linie mit der rechten Pranke noch raus.

 

11. Minute: Fortuna betreibt tief in der Osnabrücker Hälfte mit vier Mann ein atemberaubendes Offensivpressing, Bröker luchst einem Lila-Weißen schließlich die Kugel ab und flankt sofort aus dem Halbfeld. Das Leder kommt hüfthoch, eigentlich droht keine Gefahr, Abwehrmann Gorka indes unterläuft ein apokalyptischer Blackout. Genau hinter der Strafraumgrenze fährt er den Ellbogen aus und blockt den Flankenball regelwidrig. Schiri Zwayer zeigt auf den Punkt, von wo aus Jens Langeneke Sekunden später den ersten von insgesamt sieben Saisonelfmetern zielsicher in die Mitte nascht. Hinter dem Tor, auf dem Platz, auf der Bank verwandelt der Blitzstart die zarte Hoffnung allmählich in lautstarke Zuversicht: Hier und heute schmeißen wir den Bock gemeinsam um, koste es, was es wolle.

 

21. Minute: Der in den ersten sechs Spielen zur Tradition gewordene Nackenschlag lässt nur zehn Minuten auf sich warten. Bencik fährt über links nach Fehlpass von Olli Fink mit dem Leder im Gepäck den Gegenangriff und verzögert geschickt, ehe er vom linken Strafraumeck ablegt. Heidrich kommt aus der Tiefe des Raums mit Tempo angerauscht und verlädt Melka mit einem gezielten Flachschuss. Über den linken Innenpfosten bahnt sich der Ball den Weg in den Kasten. Die Bremer Brücke bebt.

 

33. Minute: Marco Christ tritt aus dem linken Mittelfeld zum Freistoß an. Der Ball kommt wie ein Komet im Sturzflug aus dem grauen Himmel und fällt millimetergenau dorthin, wo er am schwersten abzuwehren ist. Klammheimlich haben sich Olli Fink und Assani Lukimya an den Fünfer geschlichen, der lange Mittelfeldrecke macht schließlich das Rennen gegen Kontrahent Diabang und bekommt irgendwie die Rübe dran. Rechts unten wölbt sich das Netz, als das Leder zum 3:1 für die Fortuna einschlägt. Ein Tor wie eine schlagfertige Retourkutsche, ein Tor wie eine Detonation, Tor gewordener Trotz. Engels Kopfball klatscht kurz vor dem Pausentee noch mal an die Querlatte, aber das ist jetzt egal - Fortuna geht mit einer Zwei-Tore-Führung in den zweiten Spielabschnitt. Das muss doch heute reichen.

 

53. Minute: Van den Bergh produziert links hinten einen Kaventsmann von einer Kerze, die anderen Fortunen bekommen das Leder nicht entscheidend weggedroschen. Lukimya rutscht auf dem eisglatten Untergrund im Sechzehner weg, Lindemanns abgefälschtes Flachgeschoss klatscht dem Abwehrhünen zufällig an die Hand. Ein ganzes Stadion und unzählige Kneipen mit Bezahlfernsehen in Osnabrück und Umgebung fordern Strafstoß, Zwayer winkt ab. Weiter 3:1.

 

60. Minute: Zoundi, Christ und Bröker schlagen 25 Meter vor dem Tor mit jeweils einem Kontakt herrlich eine Schneise für Ranisav Jovanovic. Der steht frei vor dem Kasten und wartet lange, bis er den Tunnel probiert. Berbig wird indes immer größer und macht die Tür schließlich zu. Jovanovic beißt fassungslos in den Saum seines Trikots. Wenn sich das mal nicht rächt.

 

73. Minute: Es rächt sich. Lindemann düst über rechts, schlägt einen Haken und pfeffert eine Flanke auf den Schädel des eingewechselten Dennis Schmidt. Melka ist machtlos und muss zusehen, wie der Blondschopf die Kugel wuchtig ins Netz drückt. Das große Zittern geht los.

 

78. Minute: Lindemann bittet drei Mann zum Tanz und steckt im richtigen Moment in den Sechzehner durch für Bencik. Dessen Schuss aus linker Mittelstürmerposition verunglückt völlig, steuert aber an Melka vorbei auf den völlig blankstehenden Adler zu. Als zweitausend Fortuna-Herzen gerade einen Schlag aussetzen wollen, kommt Eigengewächs Kai Schwertfeger aus dem Nichts, hält drei Meter vorm leeren Tor gerade noch den Fuß in die Murmel und klärt zum Eckball. Das Spiel gleicht jetzt einem offenen Benzinfass - ein Funke, und alles könnte hochgehen.

 

90. Minute: Chefcoach Meier wandert nur noch an der äußersten Markierung seiner Coachingzone auf und ab. Dann ist es soweit: Zwayer beendet die Partie. Meier zuckt, lacht, jubelt, fällt Co-Trainer Uwe Klein in die Arme, die medizinischen Betreuer kommen hinzu. Die Menschentraube vor der Düsseldorfer Bank wächst zu einem riesigen Bündel aus Regennässe, Schweißperlen und Erleichterung zusammen. Auf den Rängen feiern die mitgereisten Fortuna-Fans eine erschöpfte, aber glückliche rot-weiße Mannschaft. Und keiner, der dabei war, wird jemals vergessen, welch enges Band zwischen Mannschaft und Anhang an diesem Samstagmittag in Osnabrück geknüpft wurde.

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