Leidenschaft im Schneegestöber
Es gibt in der Regionalliga West vier Stadien, in denen die Zwote vor dieser Saison noch nie gewinnen konnte: das Stadion am Zoo in Wuppertal, das Niederrheinstadion in Oberhausen, das Stadion Essen und das Häcker Wiehenstadion in Rödinghausen, aus dem sie bisher nicht einmal einen Punkt entführen konnte. In dieser Saison hat die Zwote drei dieser „Bastionen“ geknackt. Zunächst mit einem 3:2-Sieg in Wuppertal, danach mit einem 3:1-Sieg in Essen, und nun mit einem 3:2-Sieg beim aktuellen Tabellendritten. Das Niederrheinstadion war ebenfalls kurz vor dem Fall, doch am Ende wurde aus einer 3:1-Führung noch ein 3:3-Remis.
Die aktuell angespannte Personalsituation bei der Zwoten ließ nicht unbedingt auf einen Sieg hoffen. Schließlich musste Trainer Nico Michaty mit Kapitän Leander Goralski und Dario Bezerra Ehret (Gelb-Rot- bzw. Gelb-Sperre), sowie Kianz Froese, Amir Falahen und Leroy Kwadwo (alle verletzt) auf wichtige Leistungsträger verzichten. Mit Benedikt Schmitz (Tor), Geogios Touloupis, Luca Kazelis und Tim Kaminski war die Ersatzbank nur spärlich besetzt. Mit Schmitz, Touloupis und Timo Bornemann, der sogar in der Anfangsformation stand und bis kurz vor dem Schlusspfiff durchspielte, standen daher erneut drei Spieler aus der U19-Bundesligamannschaft im Kader. Trotzdem wollte Michaty nicht von einem „letzten Aufgebot“ sprechen, sondern wies darauf hin, dass alle aufgebotenen Spieler „gute Jungs“ seien. Der Spielverlauf und das Ergebnis sollten ihm Recht geben. Eine weitere Besonderheit dieses Spiels war, dass Kaito Miyake mit seinen 21 Jahren der älteste Fortune auf dem Rasen war und die Zwote faktisch als eine U20-Mannschaft gegen die gestandene Männermannschaft der Gastgeber antrat.
Die Flingeraner eröffneten das Spiel gleich mit einem Paukenschlag. Viele Zuschauer suchten noch ihre Plätze, als Nick Galle (1.) beim ersten Angriff von links in den Strafraum flankte und Bornemann diese mustergültige Vorlage zur schnellen Führung nutzte. Zwar wurde Jannik Tepe vom Stadionsprecher als Torschütze genannt, doch Videoaufzeichnungen und die Aussagen der Spieler belegen eindeutig, dass sich Bornemann für seine Berufung in die Anfangsformation mit dem schnellen Führungstreffer bedankte. Einige Zuschauer, die aufgrund der Platzsuche von diesem Tor nichts mitbekommen hatten, glaubten eine ganze Weile an einen Fehler auf der Anzeigentafel. Die Hausherren drängten als Antwort mit viel Druck auf einen frühen Ausgleich und kamen diesem Ziel auch ziemlich nahe. Zunächst traf Eros Dacaj (3.) mit einem Freistoß nur den langen Innenpfosten, dann tauchte Simon Engelmann (6.) frei vor Zwote-Keeper Maduka Okoye auf, der den SVR-Torjäger unter Einsatz seiner ganzen beeindruckenden Körpergröße abdrängte, so dass dieser erst zum Schuss kam, als Moritz Montag bereits auf der Linie war und den Ball abwehren konnte. Die nächste Chance hatte Björn Schlottke (16.) mit einem Schuss vom Elfmeterpunkt, den Okoye aber sicher festhielt. Ausgerechnet in einer Phase ab der 20. Minute, in der die Flingeraner sich begannen, aus der Umklammerung der Gastgeber zu befreien, mussten sie den Ausgleich hinnehmen. Angelo Langer (24.) spielte von links quer in den Strafraum, und Engelmann brauchte nur noch den Fuß hinzuhalten. Mit dem Torjingle, der in Rödinghausen das Stadion für gefühlte zehn Minuten in eine dröhnende Disko verwandelt, und dem unlustigen wie gegenüber dem Gegner respektlosen „Nuuuull-Danke-Bitte“-Geschrei setzte plötzlich ein Schneegestöber ein, das von Minute zu Minute stärker wurde. Die Fortunen waren von allen drei Ereignissen wenig beeindruckt und drängten mit großem Einsatz und schnellen Kombinationen auf die erneute Führung. Eine gute Chance hatte Montag (26.) mit einem Kopfball nach einer Ecke von Miyake, doch SVR-Torwart Niclas Heimann konnte einen Treffer vereiteln. Den nächsten Paukenschlag setzte dann Miyake, der nach einem Zusammenspiel mit Bornemann den Ball von der linken Strafraumgrenze aus dem Lauf mit einem Flachschuss platziert im langen Toreck versenkte. Diese erneute Führung setzte bei den Fortunen endgültig alle Kräfte frei, denn sie gaben nun durch ein aggressives Zweikampfverhalten keinen Ball verloren und zwangen den von so viel jugendlicher Dynamik sichtlich konsternierten Hausherren ihr Konterspiel auf. Gleichzeitig agierte die Abwehr der Flingeraner mit einem starken Okoye im Rücken sicher, so dass auch die Schlussoffensive der Rödinghausener vor dem Pausenpfiff wirkungslos blieb.
Die Wiehenelf, wie sie vor Ort genannt wird, startete mit einer Großchance des eingewechselten Kelvin Lunga (47.), der aber frei vom Elfmeterpunkt über die Querlatte zielte. Die Fortunen knüpften danach an ihre selbstbewusste Spielweise im ersten Durchgang an. Sie bauten ein starkes Pressing auf, spielten in der eigenen Hälfte die Bälle kombinationssicher frei und hielten ihren Gegner mit schnellen Vorstößen ständig in Atem. Es war bemerkenswert, mit welcher Sicherheit und fast schon Abgeklärtheit die junge Mannschaft, die noch nie in dieser Formation zusammengespielt hat, das Spiel dominierte. Dieser großartige Einsatz blieb schließlich nicht ohne Erfolg. Geogios Siadas (53.) eroberte an der Mittelinie den Ball gegen Azur Velagic, spielte zu Miyake, der zu Galle weiterleitete. Der linke Außenverteidiger, der sich im Verlauf der Saison zu einem gefährlichen, durch trickreiche Sololäufe glänzenden Flügelspieler entwickelt hat, zögerte nicht lange und zirkelte den Ball von der rechten Strafraumgrenze zur 3:1-Führung ins Tor. Bei der nächsten Chance der Fortunen war Galle (58.) der Vorlagengeber für Siadas, dessen Drehschuss im Strafraum aber denkbar knapp am langen Pfosten vorbei ins Toraus rollte. Auch der Anschlusstreffer der Ostwestfalen durch Lunga (70.), der frei durchkam und Okoye mit einem Flachschuss keine Chance ließ, brachte die Flingeraner nicht aus dem Konzept. Sie spielten und kämpften leidenschaftlich weiter und mussten eigentlich nur noch eine brenzlige Situation überstehen, die Okoye mit vollem Einsatz bereinigte. Montag (74.) rutschte unglücklich aus, dadurch kam Engelmann frei durch und lief auf den Zwote-Schlussmann zu. Der kam ihn entgegen und grätschte ihm den Ball vom Fuß. Nach diesem Einsatz blieben beide Akteure längere Zeit am Boden liegen, und vor allem Okoye, der aber weiterspielte, musste auf dem Rasen und später in der Kabine länger behandelt werden. Die Flingeraner verteidigten schließlich ihre Führung erfolgreich bis zum Schlusspfiff und landeten durch eine grandiose Mannschaftsleistung und einen enormen Kraftakt von ausnahmslos allen Spielern über die gesamte Spielzeit einen Sieg, den man gemessen an den Umständen nur als „sensationell“ bezeichnen kann. Nicht nur die kleine Gruppe der Zwote-Supporter, sondern auch nicht wenige SVR-Anhänger waren am Ende beeindruckt von der Dynamik und Leidenschaft, mit der die Youngster der Fortuna eine gestandene Männermannschaft in deren Heimstadion nicht nur niedergekämpft, sondern auch mit einer sehenswerten fußballerischen Leistung besiegt hat.
Nach fünf Spielen mit zwei Unentschieden und drei Siegen in Folge belegt die Zwote nun den neunten Tabellenplatz. (RR)
SVR-Trainer Enrico Maaßen: „Wenn man mit einer so jungen Mannschaft hierkommt und drei Punkte mitnimmt, hat man sicherlich etwas richtig gemacht. Es war ein unfassbares Fußballspiel, das auch gezeigt hat, wie grausam Fußball sein kann. Natürlich müssen wir bereits das schnelle erste Gegentor viel besser verteidigen. Alle drei Gegentore fallen durch individuelle Fehler und Ballverluste. Das müssen wir dringend abstellen. Unser Problem ist zurzeit, dass wir immer wieder individuelle kleine Aussetzer haben, die der Gegner dann bestraft. Wir haben nach dem Rückstand, wie auch schon in den Spielen zuvor, hervorragenden Fußball gespielt, uns dafür aber nicht belohnt. Wir sind dreimal allein auf den Torwart zugelaufen und haben es nicht geschafft, daraus ein Tor zu erzielen. Wir hatten heute Torchancen für zwei bis drei Spiele, auch wenn Düsseldorf auch noch einige gute Gelegenheiten hatte. Wir sind heute sehr enttäuscht, dass wir das Spiel nicht gewinnen konnten.“
Spiele der Teams
Aufstellung:
SV Rödinghausen
HeimannFlottmann (C)VelagicDacajEngelmannMeyer (46. Lunga)Schlottke (72. Traore)WolffKunze (59. Steffen)PfanneLanger
Gelbe Karten
Velagic, Pfanne, WolffTrainer
Enrico Maaßen
Fortuna Düsseldorf U23
OkoyeMontag (C)GalleSiadas (90.+4 Touloupis)MiyakeEndresSchaubStöckerBornemann (90. Kazelis)Tepe (62. Kaminski)Kummer
Gelbe Karten
KaminskiTrainer
Nico Michaty
Stadion:
Häcker Wiehenstadion
Zuschauer
775
Schiedsrichter
Jörn Schäfer