15.04.2021 | Verein

14 Jahre lang Bundesliga-Spielplan in Handarbeit

Hans-Georg Noack als Spielplanmacher

Vor zwei Jahrzehnten lief die Erstellung des Bundesliga-Spielplans noch ganz anders als heute. Da entstand er noch in Handarbeit, und verantwortlich dafür war ein Fortune: Hans-Georg Noack, Fortunas Ehrenpräsident, der am Dienstagabend im Alter von 92 Jahren verstorben ist.

  • Foto: Horstmüller

Wenn er von den Zeiten erzählt hat, in denen er am Schreibtisch seines Büros oder bei schönem Wetter auch schon mal am Gartentisch saß und den Spielplan austüftelte, eröffnete sich eine ganz andere Welt des Fußballs. „Ich hatte einen ziemlichen Papierkrieg vor mir“, berichtete Noack. „Im günstigsten Fall war ich nach zwei Nachmittagen durch, es konnte aber auch vier Tage dauern. Und einmal gab es so viele Wünsche von allen Seiten, dass ich keinen Spielplan zustande bekam.“ Noack fuhr zu seinem Freund und engsten Mitarbeiter Wilfried Straub nach Frankfurt und ackerte alles nochmals durch. „Da haben wir zwei Eingaben von Schalke entdeckt, bei denen jeweils politische Veranstaltungen dem Plan entgegenstanden. Der damalige Präsident der Schalker, Gerd Rehberg, war zugleich Bürgermeister von Gelsenkirchen. Wir haben ihn angerufen und gebeten, einen der Termine zu canceln – das klappte, und dann ging der Plan auf.“

Zu diesem Zeitpunkt in den 1990er-Jahren hatte der Düsseldorfer allerdings schon große Routine entwickelt. Das war 1987 noch anders, als Noack „wie die Jungfrau zum Kinde“, wie Noack verglich, an seinen Spielplan-Job kam. „Ich war Mitglied des Liga-Ausschusses, aber dann kam ein Beschluss, dass nicht mehr amtierende Ex-Vorstände von Bundesligaklubs dort nicht mehr Mitglied sein können. Das wäre für mich nach Ablauf meiner Amtszeit das Aus gewesen. Am nächsten Tag war dann Bundesligaversammlung. Ich saß zu der Zeit in meinem Sessel und dachte: ,Das war es also mit deiner DFB-Tätigkeit.‘ Doch dann riefen mich die Präsidenten Franz Böhmert von Werder Bremen und Ottokar Wüst vom VfL Bochum an und fragten, ob ich bereit sei, als neuer Spielleiter anzutreten, weil mein Vorgänger Hermann Schmaul die Altersgrenze erreicht hatte.“ Noack nahm an und begann sein Abenteuer, das bis 2002 dauern sollte.

Ein Präsident wollte ein attraktives Heimspiel zum Geburtstag


Schmaul weihte ihn in die Geheimnisse des Spielplanbaus ein, die letztlich so geheimnisvoll gar nicht waren. „Alle Spielpläne basieren auf einem einheitlichen arithmetischen Grundplan“, erklärt Noack. „Den haben die Engländer schon bei der Begründung des Fußballsports geschaffen. Letztlich geht es darum, dass jeder beteiligte Verein in einer Liga in Heim- und Auswärtsspiel gegen jeden anderen antritt, in Hin- und Rückrunde, und dabei sind Dopplungen möglichst zu vermeiden.“ Klingt simpel – doch der Kniff liegt darin, diesen Plan mit Leben zu erfüllen. „Man könnte einfach jedem Klub eine Ziffer zuordnen und sie hintereinander wegschreiben. Aber ich habe mir immer sehr viel Mühe gegeben, es so zu gestalten, dass jeder halbwegs zufrieden sein konnte.“

Haupterschwernis war schon damals die Vorlage der ZIS, die stets eine lange Liste von Terminen nach Düsseldorf schickte, an denen aus polizeilichen Gründen keine Spiele an einem bestimmten Ort stattfinden durften: große Volksfeste, politische Veranstaltungen, andere Sportfeste. „Damit schlossen sich bestimmte Nummern für bestimmte Vereine bereits aus – es durfte ja an diesem Tag kein Heimspiel geben.“
Hinzu kamen die Eingaben der anderen Vereine. Da wollte Eintracht Frankfurt am ersten Spieltag ein Auswärtsspiel, weil dann ein Weltstar im Stadion auftrat. „Auch die Schalker hatten immer viele Wünsche“, sagte Noack, „die Kölner, es kam immer wieder etwas. Einmal hat mich ein Präsident aus dem Süden angerufen und gebeten, seinem Klub an einem bestimmten Samstag im März ein Heimspiel gegen die Bayern oder einen anderen attraktiven Gegner zu geben – da habe er nämlich Geburtstag. Ich habe auf meinen fast fertigen Plan gesehen und konnte ihn beruhigen: Es waren zwar nicht die Bayern, aber es gab ein anderes schönes Heimspiel.“

Wer den längeren Halm zieht, erhält zwei Heimspiele zum Oktoberfest.


In Sachen Egozentrik dürfte dieser Geburtstagswunsch die Spitze einnehmen – doch Noack konnte noch von einer Reihe anderer Eingaben berichten. „Hermann Schmaul hat mir am Anfang sehr geholfen“, erinnerte er sich. „Er warnte mich, dass die beiden Münchner Klubs FC Bayern und TSV 1860 mir die meisten Probleme bereiten würden wegen eines Spezialwunschs: Beide wollten während des Oktoberfests immer zwei Heimspiele gegen schwache Gegner haben.“ Hintergrund: In den 1980er- und 1990er-Jahren waren die Spiele in München beileibe noch nicht so gefragt wie heutzutage. „An den zwei Wiesn-Samstagen kämen selbst gegen Bochum und Duisburg 40.000 Zuschauer, während sie sonst nur 20.000 zögen. Da habe ich mir die beiden Präsidenten kommen lassen, Willi O. Hoffmann von den Bayern und Karl-Heinz Wildmoser von den Sechzigern, und habe sie Strohhalme ziehen lassen. ,Wer den längeren Halm zieht, hat dieses Jahr zwei Heimspiele zum Oktoberfest‘, habe ich den beiden gesagt. ,Der andere bekommt das Heimspiel am mittleren Festsamstag. Und danach reden wir nie wieder drüber, denn es wird fortan jedes Jahr abgewechselt.‘ Von dann an hatte ich Ruhe.“

Doch Ruhe war nicht die Regel für den Bundesliga-Spielleiter. An seinen ersten Plan erinnerte er sich noch lange: „Montagmorgen bekamen die Klubs ihn per Ticker zugestellt. Ich saß zu Hause und war sehr gespannt. Um halb neun morgens rief mich dann ein Trainer an, den ich gut kannte. ,Willst du meinen Rausschmiss provozieren?‘ fragte er mich donnernd. ,Dieser Spielplan ist mein Ende! Erstes Spiel gegen Köln, dann die Bayern, dann noch zwei Knüppel!‘ Zwei Stunden später rief mich der Präsident desselben Vereins an und sagte: ,Herzlichen Dank für den tollen Plan! Gleich am Anfang drei Spiele, die meine Kassenprobleme erledigen.‘ Der Trainer ist übrigens geblieben.“

Noack war ohnehin schnell klargeworden, dass er es nicht jedem rechtmachen konnte. Gerechtigkeit lag ihm aber stets am Herzen. „Als die sportlich und wirtschaftlich sehr gebeutelten Vereine aus den neuen Bundesländern in die Bundesliga kamen, habe ich bemüht, ihnen ein nicht allzu schweres Auftaktprogramm zu geben“, berichtet der 90-Jährige. „Wenn dagegen ein etablierter Klub jammerte, am ersten Spieltag gegen die Bayern spielen zu müssen, habe ich ihnen gesagt: ,Wenn ihr eine Chance gegen die Bayern haben wollt, dann eher am Anfang als später.‘“ So oder so blieb es ein schwieriges Geschäft. „Ich habe alles handschriftlich gemacht, manchmal 20 Entwürfe zerrissen und wieder neu angefangen.“

Und mitunter kamen Schwierigkeiten hinzu, mit denen niemand gerechnet hatte. So wie Ende der 90er-Jahre, als Noack und sein Freund Benno Beiroth beschlossen, gemeinsam mit ihren Frauen in Oberstdorf Winterurlaub zu machen. „Eines Morgens wurden wir wach, und es war fast ein Meter Schnee gefallen“, erzählt der Ehrenpräsident. „Anschließend klingelte ununterbrochen mein Telefon: In ganz Deutschland war Schneechaos, und vielerorts konnte am Wochenende nicht gespielt werden.“ Als Ausweichtermin gab es damals nur den Dienstag der darauffolgenden Woche, aber es war abzusehen, dass sich bis dahin nichts Wesentliches an der Schneelage ändern würde. Rasenheizungen gab es so gut wie gar nicht, die meisten Tribünen waren nicht überdacht. „Ich musste fünf Spiele verlegen, und so wurde der Rhythmus gestört, weil sich für manche Vereine zwei oder mit Pech sogar drei Auswärts- oder Heimspiele hintereinander ergeben konnten. Und wenn es dann um Meisterschaft oder Abstieg ging, dann hatten wir Theater.“

Irgendwie schaffte es Hans-Georg Noack aber immer. Bis 2002, als der letzte der drei ehrenamtlichen Spielleiter der Bundesliga – vor ihm gab es nur Walter Baresel und Hermann Schmaul – in den Ruhestand ging. Noacks Nachfolger ist ein Computer, der es freilich durch die Zerfaserung der Spieltage auf Freitag bis Sonntag und teilweise Montag einfacher hat: So können problematische Partien leichter entzerrt werden. Den Charme des Handgemachten, das Fingerspitzengefühl für mehr Gerechtigkeit jedoch wird der PC nie einbringen können.

Text: Bernd Jolitz

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